Anmerkungen des Autors: Sie können sich diese Konzerteinführung auch vorlesen lassen. Klicken Sie dazu bitte HIER. Außerdem habe ich die Biografie des Solopaukisten aus dem Programmheft von KI ins Deutsche übersetzen lassen und als Audiodatei abgespeichert. Um sie zu hören klicken Sie bitte HIER.
Ein Konzertabend, der sich in Palma ankündigt, trägt die Aura eines dramaturgischen Experiments: das Sinfonieorchester der Balearen unter Nuno Coelho stellt zwei Werke nebeneinander, die auf den ersten Blick kaum verwandt scheinen, und doch in ihrer Gegenüberstellung eine eigene Logik entfalten. Michael Daughertys „Raise the Roof« ist ein Stück, das die Pauke aus ihrer dienenden Funktion befreit. Sie ist hier nicht mehr nur das Fundament, das den Puls markiert, sondern ein Instrument, das sich in die Höhe schraubt, das Dach hebt, das Gebäude der Musik neu definiert. Javier Equillor,der brillante und schlagkräftige Solist des Abends, wird zum Architekten dieser Klangarchitektur: seine Schläge sind nicht bloß rhythmische Signale, sondern Gesten, die Räume öffnen, die Energie bündeln, die das Orchester herausfordern. Daugherty, ein amerikanischer Komponist mit Sinn für Popkultur und orchestrale Brillanz, hat ein Werk geschaffen, das Virtuosität und Spektakel verbindet, ohne ins bloß Effektvolle zu kippen. Die Pauke wird zum Symbol für Aufbruch, für das Überschreiten von Grenzen, für die Lust am Risiko.
Im zweiten Teil des Abends folgt Witold Lutosławskis Konzert für Orchester, ein Werk, das aus der polnischen Volksmusik schöpft und doch weit über nationale Idiome hinausweist. Es ist ein Stück, das die Vielfalt des Orchesters entfaltet, von kammermusikalischer Transparenz bis zu symphonischer Monumentalität. Lutosławski, einer der großen Erneuerer des 20. Jahrhunderts, komponierte hier ein Werk, das die Tradition nicht verleugnet, sondern sie in eine moderne Sprache verwandelt. Die drei Sätze steigern sich zu einem Finale, das wie ein Triumph der kollektiven Klangkraft wirkt: das Orchester selbst wird zum Solisten, jeder Spieler Teil eines großen Organismus, der sich in Bewegung setzt, der wächst, der sich gegen Widerstände behauptet. Es ist Musik, die zugleich analytisch und emotional wirkt, die Struktur und Leidenschaft verbindet, die zeigt, wie ein Orchester nicht nur interpretiert, sondern selbst zum Gegenstand der Komposition wird.
Nuno Coelho, der junge portugiesische Dirigent, wird diese Spannungsbögen mit präziser Hand und dramaturgischem Gespür formen. Er ist ein Musiker, der die Architektur der Partitur ernst nimmt, der die Energie der Pauke ebenso zu lenken weiß wie die subtilen Farben der Holzbläser oder die eruptive Kraft der Blechbläser. Unter seiner Leitung entfaltet das Sinfonieorchester der Balearen seine ganze Palette: es wird zum Klangkörper, der nicht nur reproduziert, sondern gestaltet, der sich selbst reflektiert, der seine eigene Geschichte erzählt. So entsteht ein Abend, der die Architektur der Musik feiert: einmal als kühne Konstruktion für Pauke und Orchester, dann als orchestrales Panorama, das die Geschichte und Gegenwart der Musik miteinander verwebt.
Man könnte sagen: dieser Abend ist eine Lektion in Selbstbewusstsein. Die Pauke erhebt sich, das Orchester antwortet, beide zeigen, dass sie mehr sind als bloße Werkzeuge. Sie sind Stimmen, die sprechen, die sich behaupten, die ihre eigene Wahrheit formulieren. Ein Konzert, das nicht nur die Mauern des Saals zum Beben bringt, sondern auch die Vorstellung davon, was ein Orchester sein kann. Es ist ein Abend, der die Grenzen zwischen Solist und Kollektiv, zwischen Tradition und Moderne, zwischen Fundament und Dach neu zieht – und der zeigt, dass Musik immer dann am stärksten ist, wenn sie sich selbst befragt. – Karten wie immer auf der Website des Auditoriums.