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Konzertkritik: Mitreißende Avantgarde beim 3.Abokonzert im Auditorium

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(Anmerkung des Autors: Sie können sich diese Kritik auch vorlesen lassen. Klicken Sie HIER!) - Gestern Abend im keineswegs ausverkauften Auditorium: der junge portugiesische Dirigent Nuno Coelha und der Paukensolist Javier Equillor, beide Meister ihres Fachs, hatten zu einer Begegnung mit zwei spannenden Werken aus dem 21. und 20. Jahrhundert eingeladen. Das mäßige Interesse ist wohl dem für so manchen abschreckenden Etikett „Avantgarde« zuzuschreiben. Die, die gekommen waren, konnten ihre Berührungsängste aber bereits nach wenigen Takten vergessen. Denn was geboten wurde, ging unter die Haut, fesselte und berührte.

Es ist faszinierend, wie unterschiedlich Komponisten auf die Herausforderung der Avantgarde reagieren können. Während die Nachkriegsavantgarde mit seriellem Dogma und elektronischen Experimenten die Zukunft beschwor, entschieden sich andere für eine Abkehr, die nicht im Rückzug, sondern in der Umdeutung lag. Witold Lutosławski und Michael Daugherty sind zwei exemplarische Fälle – und doch könnten ihre Strategien kaum gegensätzlicher sein. Daughertys „Raise the Roof« aus dem Jahr 2003 ist ein Konzert für Pauke und Orchester, das die Avantgarde spielerisch ironisiert. Mittelalterlicher Choral trifft auf Rock- und Latin-Rhythmen, die Pauke wird zum Solisten, das Orchester zur „Bigband«. Hier liegt die Abkehr von radikalen Prinzipien der Aventgarde nicht in der Rückwendung, sondern in der Hybridisierung von Hochkultur und Popkultur. Avantgarde wird zum Spielmaterial, nicht zum Dogma. Die Idee, Pauken solistisch einzusetzen, hatte übrigens schon Mozart: im Rondo seiner Serenata notturna gibt es tatsächlich eine Kadenz für das Schlaginstrument!

Beide Werke zeigen, dass die Abkehr von Avantgarde nicht im Rückzug liegt, sondern in der Neudefinition von Erneuerung. Lutosławski baut eine Brücke zurück zur Tradition, Daugherty eine Brücke hinaus in die Popkultur. Der eine erhebt das Orchester zum Solisten, der andere die Pauke. Gemeinsam beweisen sie: Die Avantgarde ist nicht nur Vorhut – sie ist auch der Spiegel, an dem sich jede neue Musik misst, sei es durch Transformation oder durch ironische Umspielung.

Und in beiden Stücken konnte das Sinfonieorchester der Balearen die ganze Palette seiner Spielkultur zur Schau stellen. Nuno Coelho setzte mit präziser Gestik und einem hochentwickelten Sinn für Klangfarben Energien frei, die das Publikum förmlich ansprangen, packten und mitrissen. Javier Equillor ließ die Paukenbatterie zum Star eines virtuosen Spektakels avancieren und bedankte sich für den begeisterten Applaus mit einer fetzigen Zugabe.

Das vierte Abokonzert findet am kommenden Donnerstag statt. Beethovens Neunte steht auf dem Programm, am Pult wird Pablo Mielgo stehen.

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