(Anmerkung des Autors: Sie können sich diese Einführung vorlesen lassen. Klicken Sie dazu bitte HIER.) - „Ludwig der Größte!« Im Beethovenjahr vor dem 250. Geburtstag des Komponisten wurde ein tragisches Genie gefeiert: ungeheuer kraftvoll, aber taub, unglücklich verliebt und zu oft wütend. Seine Musik ist modern, komplex, widersprüchlich, emotional. Und mitreißend.
Und kaumm ein anderer Komponist wurde in einem ähnlich beängstigenden Maße missverstanden, missbraucht und vereinnahmt. Vor allen anderen Werken war es seine neunte Sinfonie, die sich die Aneignung durch die Politik aller couleurs gefallen lassen musste. Sie wurde von den Nationalsozialisten vereinnahmt (Furtwängler dirigierte am Vorabend von Hitlers Geburtstag 1942 die Neunte! Gleichzeitig wurden in Konzentrationslagern Juden vergast); die DDR berief sich auf ihren „revolutionären Geist«; das Bürgertum grenzte sich durch Besuche von Beethovenkonzerten von den weniger Gebildeten ab (und da war dann auch schon Schluss mit „alle Menschen werden Brüder«); die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nutzte Beethoven zu Repräsentationszwecken, indem sie in der Elbphilharmonie beim G-20-Gipfel 2017 die Neunte spielen ließ, Machtpolitiker wie Trump ließen sich zu ihren Klängen feiern, während draußen Demonstranten ihretwegen tobten. Und schließlich ist das „Freude, schöner Götterfunken« Europahymne. Und es ist – als einziges Musikstück – zum Weltkulturerbe erklärt worden. 1972, bei den Olympischen Spielen in München, wurde zum Gedenken an die Opfer des Attentats Beethoven gespielt. Die Amerikaner schossen 1977 eine Beethoven-CD ins All, als Botschaft an ferne Galaxien. Und, wieder zurück auf unserem Planeten: 1989 dirigierte Leonard Bernstein anlässlich des Mauerfalls den „Götterfunken« und ersetzte „Freude« durch „Freiheit«. Natürlich hat auch die Popmusik den Meister für sich entdeckt: im Beethovenjahr 1970 belegte der „Song of Joy«, eine ziemlich „verschnulzte« Fassung der Götterfunken-Melodie des Spaniers Miguel Rios, in Deutschland, Österreich und der Schweiz Platz 1 der Hitparaden – und viele Leute glaubten im Ernst, nun Beethoven zu „kennen«. Der argentinische Orchesterchef Waldo de los Rios (nicht mit Miguel verwandt oder verschwägert) brachte eine Instrumentalversion im Stil von James Last auf den Markt, auch die wurde ein Renner.
Als die CD Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre entwickelt wurde, musste man sich auf eine Standardgröße einigen. Die Frage war: Wie viele Minuten Musik sollen auf eine CD passen? Man legte sich auf 74 Minuten fest. So lang dauerte die Neunte unter Furtwängler, und dafür sollte die Kapazität des neuen Mediums ausreichen.
Das alles erklärt allenfalls die Popularität der Neunten, nicht aber ihre Größe, ihre revolutionäre Sprengkraft. Die liegt einzig und allein in den knapp 100.000 Noten der gigantischen Partitur. Auf diese astronomische Zahl schätzt jedenfalls KI den Inhalt der 280 Notenseiten. Keine Sinfonie davor war länger – und keine setzte die menschliche Stimme ein. Aber auch das liefert noch keine Erklärung für die ungeheure Power, für die fast erdrückende emotionale Wucht der Musik. Musikwissenschaftler haben regalmeterweise Bücher über die Neunte geschrieben, meist für Laien unverständlich. Leonard Bernstein, der große Vermittler, hat es für Hörer ohne Konservatoriumsabschluss auf den Punkt gebracht: die Schlüsselworte für das Verständnis sind „Entwicklung« und „Folgerichtigkeit«. Originalton Bernstein: „Wenn wir bei jeder Note das Gefühl haben, dass sie an dieser Stelle die einzig richtige ist, dann hören wir Beethoven!« Beethoven verstand es wie kein anderer, aus kleinen Motiven durch logische Entwicklung eine architektonisch gewaltige Musik zu schaffen. Und das Schöne: man muss diese Entwicklungen nicht im Detail analysieren, um von der Wucht und Urgewalt der Neunten ergriffen zu sein. – Wenn Sie Lust haben, können Sie sich meinen Essay über Beethoven, aus dem ich hier zitiert habe – er dauert etwa 8 Minuten – ganz vorlesen lassen. Wenn Sie‘s lieber etwas flockiger haben wollen, empfehle ich Ihnen die entsprechende Folge aus dem Podcast „Klassik für Klugscheisser«, die bei aller Flapsigkeit seriöse Informationen enthält. – Zum vorher Hineinhören empfehle ich Ihnen die Karajan-Aufnahme von 1963 bei Spotify Sie gilt nach wie vor als Referenzeinspielung. - Karten wie immer auf der Website des Auditoriums. –