Eine Staubwolke hüllt den Archäologen Juan Carlos Lladó ein. "Daran bin ich gewöhnt", meint er, während er auf dem Boden im alten Wehrturm von Port Andratx kniet und energisch eine Stelle abbürstet. Weiße Mörtellinien um grobe Steinfliesen kommen zutage. "Es ist unglaublich, wie gut der Boden erhalten ist", begeistert sich Lladó. "So etwas gibt es ganz selten und das in einem Gebäude aus dem 16. Jahrhundert, durch das Gott und die Welt gelaufen sind."
Auf der Halbinsel La Mola, 80 Meter über dem Meer, liegt der Wehrturm Sant Carles. Er ist deshalb auch bekannt als "Torre de La Mola". Jahrelang haben Kulturvereine den Verfall angeprangert. Jetzt wird der Turm restauriert. Er ist im Besitz der Gemeinde Andratx und gilt als architektonisches Wahrzeichen, sagt Lladó. "Das ist kein gewöhnlicher Wachturm, sondern ein mächtiger Verteidigungsturm mit Platz für drei Kanonen." Nach seinem Vorbild seien andere große Verteidigungstürme der Insel gebaut worden.
Die Dimensionen sind gewaltig: 15 Meter Durchmesser, elf Meter Höhe. Die Form ist zylindrisch mit leichter Verjüngung nach oben. "Türme dieser Größe wurden normalerweise nicht kegelförmig, sondern eckig gebaut", betont der Archäologe. Der robuste Bau hat drei Ebenen. Er ist aus Marès-Sandstein gemauert und mit Steinblöcken verkleidet. Sechs Männer lebten in dem Turm. Das zweite Geschoss diente ihnen als Wohnraum. Durch eine runde Öffnung in der Mitte der gewölbten Decke fällt Licht in den runden Raum. Schwarze Flecken an der Decke erinnern daran, dass hier Feuer gemacht wurde. An den Wänden befinden sich fünf schmale Schießscharten. Enge Schächte führen dahin. "Darin lagen die Männer längs auf dem Bauch und warteten mit Gewehren auf die Angreifer", erzählt Lladó. Die unterste Ebene ist bis auf eine Zisterne mit Felssteinen ausgefüllt. Auf der obersten Ebene standen die Kanonen.
Andratx war eines der Hauptziele der Piratenangriffe und Überfälle von Korsaren, denen sich Mallorca ab dem 15. Jahrhundert zunehmend ausgesetzt sah. "Fast jedes Jahr fielen hier Piraten nach der Ernte ein, plünderten Lebensmittel, nahmen Leute als Sklaven gefangen oder entführten wichtige Personen, um für sie hohe Lösegelder zu fordern", erzählt Lladó. Im Jahr 1533 sollen am Hafen von Andratx 1000 Korsaren an Land gegangen sein, 1578 sogar 1500. Der Hafen war auch deshalb interessant, weil es dort eine Wasserquelle gab, an der sich die Piraten mit Frischwasser versorgen konnten. Zur Verteidigung wurde im 16. Jahrhundert die Torre de Sant Carles gebaut. Der Ursprung des Namens ist unbekannt. Gelebt habe damals niemand am Hafen, sagt Lladó. Das sei viel zu gefährlich gewesen. "Die Turmwächter waren hier die einzigen Menschen weit und breit." Durch Rauch- und Feuerzeichen verständigten sie sich mit Wächtern auf der Insel Dragonera. Nach Westen kommunizierten sie mit einem Stützpunkt am Cap Llamp, von dem aus Camp de Mar informiert wurde.
Bis ins 19. Jahrhundert hinein diente Sant Carles als Verteidigungsturm. Im Zuge der Abschreibungen, mit denen das Königreich Mallorca seine Schulden zu tilgen suchte, wurde der Turm dann versteigert. "Im Spanischen Bürgerkrieg nutzte man ihn aber erneut zur Verteidigung und richtete darauf einen Luftwaffenkontrollpunkt ein", berichtet Lladó. Er weist auf eine Windrose, die in den Boden geritzt ist. Aus strategischen Gründen sei die oberste Mauer des Turms damals einen Meter abgetragen worden. Am Ende des Bürgerkriegs (1939) wurde der Turm endgültig verlassen. Schon unter Franco wurde er zum geschützten Kulturgut erklärt (Bien de Interés Cultural), aber nicht instand gehalten.
Ende vergangenen Jahres begannen die Aufräumarbeiten. Das Dach sei geradezu ein Wald gewesen, erzählt Lladó. "Voller Bäume und Gestrüpp und viel Schutt darunter." In den Mauern befinde sich so viel Feuchtigkeit, dass schon nach kürzester Zeit wieder neues Grünzeug sprieße, auch ohne Regen. Austrocknen sei deshalb nach dem Aufräumen die erste Aufgabe. Insgesamt habe sie der gute Zustand des Gebäudes aber überrascht, sei es doch als Ruine katalogisiert, meint der Stadtarchäologe von Andratx.
Zurzeit wird ein Restaurierungsplan ausgearbeitet, der vom Inselrat genehmigt werden muss. Unter anderem soll außen eine Rundtreppe zum Eingang in die zweite Ebene und innen eine Holztreppe zum Dachbereich gebaut werden. Der Status als geschütztes Kulturgut begrenzt die Eingriffsmöglichkeiten. Die Erhaltung muss in jedem Fall Vorrang haben. Die Finanzierung übernimmt die Gemeinde Andratx. 45.000 Euro stehen dieses Jahr zu Verfügung. "Das ist sehr wenig", betont Lladó. Das Ziel ist es, den Turm von La Mola der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Bis dahin wird es aber noch mindestens zwei bis drei Jahre dauern.
(aus MM 28/2016)