Folgen Sie uns F Y T I R

"Reha" für die Schildkröten

Meeresschildkröte Vera hat die rechte Vorderflosse verloren und zudem eine eiternde Wunde im Maul. Auf Mallorca wird sie untersucht und aufgepäppelt. | Sophie Mono

| Palma de Mallorca |

Unbeholfen wackelt Vera mit ihrer verbliebenen Vorderflosse, als Tierkrankenpfleger Guillem Felix sie aus ihrem Wasserbecken hebt. Vera ist eine Caretta Caretta (zu Deutsch: Unechte Karettschildkröte), die als die typischste aller Wasserschildkröten gilt. Noch vor Kurzem schwamm Vera im Mittelmeer umher, doch dann verhakte sich ihre rechte Vorderflosse in einem Nylonseil und wurde komplett abgetrennt. Dehydriert, mit offener Wunde und vollkommen geschwächt, wurde Vera bei Ibiza aufgefunden. Jetzt ist sie in der Pflegestation für Meerestiere des Palma Aquariums untergebracht, die der Artenschutzabteilung (Consorcio para la Recuperación de la Fauna de les Illes Balears, Cofib) des balearischen Umweltministeriums untersteht.

Felix setzt Vera vorsichtig auf ein Handtuch, das er über einen Plastikeimer gestülpt hat. "Auf den Balearen wurden in den vergangenen zwei Jahren rund 200 tote und lebende Delfine und Schildkröten untersucht", berichtet er. Seit 2014 hat das Palma Aquarium einen Vertrag mit dem balearischen Umweltministerium. Immer, wenn irgendwo im Meer oder an der Küste ein verletztes oder totes Tier aufgefunden wird, fahren Mitarbeiter des Palma Aquariums raus. "Die Biologen und Veterinäre machen das freiwillig, auch nach ihren Arbeitszeiten, wir bieten einen 24-Stunden-Service", berichtet Gloria Fernández. Sie ist die Verantwortliche der Pflegestation und bringt 36 Jahre Berufserfahrung im Umgang mit Meerestieren mit sich. Sie erinnert sich an viele spektakuläre Fälle, wie den des Hais, der im Mai dieses Jahres bei Palma und an der Südwestküste von Mallorca für Aufsehen sorgte. "Auch da waren unsere Spezialisten dabei. Leider konnten wir nichts mehr für ihn tun, er hat gelitten, war verwirrt und wir mussten ihn von dem Schmerz erlösen", erklärt die Biologin.

Platz gehabt hätte der Fisch im Genesungszentrum ohnehin nicht, hier werden hauptsächlich Schildkröten beherbergt. "Haie, Wale und Delfine können wir nur im Meer behandeln." 90 Prozent der Delfine und Wale, die aufgefunden werden, seien aber bereits tot. "Wir untersuchen sie dennoch und können dadurch interessante Proben für die Forschung entnehmen", so Fernández.

Mehr Spaß mache natürlich die Arbeit am lebenden Tier. Diese werden von den Mitarbeitern des Palma Aquariums zunächst ins tierärztliche Krankenhaus "Aragó" in Palma gebracht und behandelt. Erst dann kommen sie in die Pflegestation. Auch hier ist Sterilität wichtig, wer eintritt, muss sich die Schuhe zunächst säubern. Öffentlich zugänglich ist das Zentrum nicht. "Aber hin und wieder empfangen wir Schulklassen, um die Kinder für das Thema zu sensibilisieren", so Fernández. Je nach Schwere ihrer Verletzungen kämpfen die Tiere in der Pflegestation um ihr Leben. "Wenn sie die erste Woche überstehen, dann schaffen sie es fast immer", berichtet Fernández.

Auch Meeresschildkröte Vera ist über den Berg, hat auch den Verlust ihrer Vorderflosse bereits gut verkraftet. Doch noch immer stört sie eine eiternde Wunde im Maul. Vorsichtig desinfiziert Tierpfleger Guillem Felix sie, Gloria Fernández assistiert. "Diese Nylonschnur hier hat sie verschluckt und ist fast daran gestorben", sagt Fernández und deutet auf ein langes transparentes Knäuel.

"Früher war die Fischerei das größte Problem für die Meeresschildkröten. Heutzutage sind es vor allem die Mengen an Plastik, die im Meer umherschwimmen." Auch Veras Leidensgenossen im Genesungszentrum, die Schildkröten Scar, Marmoleta und Gada, die in benachbarten Wasserbecken schwimmen, sind Plastikmüll zum Opfer gefallen. Sie alle haben sich entweder in Plastik verheddert oder es gefressen, weil es mit Algen bedeckt war.

"Aber die drei sind schon deutlich fitter als Vera und dürfen bald wieder raus", sagt Fernández. Raus, das bedeutet in die Freiheit, zurück ins Meer. "Das ist immer unser Ziel: die Tiere möglichst schnell wieder aussetzen zu können", so Fernández. Sie streicht Vera liebevoll über den Panzer. "Es ist natürlich Freude und Glück zugleich, man hat wochen- oder monatelang Kontakt zu den Tieren, da baut man eine emotionale Bindung auf und dann fällt der Abschied schwer."

Vera wird dem Team aus Freiwilligen noch etwas erhalten bleiben. "Den Winter über können wir sie noch nicht gehen lassen, dafür ist sie noch zu schwach. Aber dann wird sie es auf jeden Fall schaffen."

NOTRUF 112 WÄHLEN. Wer ein Meerestier sieht, das verletzt, geschwächt oder verwirrt ist, sollte den Notruf 112 anrufen. Die Zentrale setzt sich dann mit dem Palma Aquarium in Kontakt.

Zum Thema
Meistgelesen