Gegensätzlicher könnten die Ausblicke aus ihren Ateliers nicht sein. Siebzehn Jahre lang schaute Anne Wolf auf eine belebte Straße im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg. Jetzt hat die gelernte Modedesignerin vor ihrem Fenster Berge, grüne Felder und die Häuser der ruhigen Ortschaft Sineu im Herzen Mallorcas. „Mir fiel auf, dass ich mich selbst über den Rosmarin freute, der hier im Winter wächst und den du einfach ernten kannst,” beschreibt Wolf die Empfindung, die sich bei ihr einstellte, nachdem sie längere Zeit auf Mallorca verbrachte. Im September vergangenen Jahres hatte sie ihr gleichnamiges Geschäft in Berlin aufgegeben und mit ihrer Familie den Neustart auf Mallorca gewagt. „Woanders hingehen, neu anfangen und merken, dass das auch klappt, ist ein Wahnsinnsgefühl! Und eigentlich ist es alles nur Kopfsache.”
Wäre sie in Berlin geblieben ohne die Auswanderung zu wagen, hätte Wolf sich später vielleicht gefragt: „Was wäre gewesen, wenn ... ?” Doch zu verlieren hatte sie nichts. „Die Sicherheit, bei einem Neuanfang, hast du in dir. Sobald du weißt, was du kannst und einen Ort findest, an dem es dir gut geht, dann mach es!” Aber: Die Auswanderung nach Mallorca war für Anne Wolf in gewisser Weise auch ein „Schritt zurück zum Ursprung”. Denn: In Berlin baute sie sich ihr Atelier und ein Team auf – sie war eine „Institution in der Nachbarschaft”, wie ihre Freunde aus der Heimat sie beschreiben.
Dabei möchte Wolf alles andere, als ihre Designs groß in der Welt anpreisen. Nach ihrem Modedesign-Studium und Arbeitserfahrungen bei verschiedenen Designern in Paris und New York zog sie den Schluss: „Das ist nichts für mich! Im Grunde ist es brotlose Kunst. Du produzierst unter unmenschlichen Bedingungen und weißt nicht mal, für wen. Die Kleidung wird verkauft, du weißt nicht, ob sie passt und am Ende wird sie doch nur weggeworfen.” 2004 dann kam sie durch Zufall bei einer griechischen Brautkleiderdesignerin unter. Da hat es bei Anne Wolf „klick” gemacht. „Du entwirfst etwas in deinem Stil und siehst, für wen du es machst, das Handwerk wird wertgeschätzt und du machst jemanden damit glücklich”, beschreibt die lebhafte Berlinerin ihren Werdegang.
Für Wolf war die deutsche Hauptstadt eigentlich der ideale Ort zum Leben und Arbeiten, denn „man hatte Platz, es gab Kreativität und alles, was man brauchte, war da.” Schweren Herzens musste sie sich jedoch eingestehen: „Berlin hat sich ganz schön verändert in den letzten Jahren und ich habe gemerkt, dass das nicht mehr passt.” Die Stadt wurde ihr zu voll, zu laut, zu dreckig. Hinzu kam, dass der Laden, in dem sich ihr Atelier befand, verkauft werden sollte und sie ihre Kreativstätte verlassen musste. Daraufhin entschied Wolf: „Dann ist das jetzt mein Wink. Wir versuchen es mal ein Jahr auf Mallorca!”
Sie fand das Haus in Sineu, in dem die passionierte Designerin das Leben und das Arbeiten miteinander verbinden kann. Die ehemalige Mühle neben dem Wohnhaus wurde kurzerhand zu ihrem neuen Atelier umgebaut. „Jetzt ist alles ein bisschen kleiner und ich betreue auch nicht mehr so viele Bräute – dafür kann ich mich auf die wenigen jetzt besser einlassen”, erklärt Wolf. Einige ihrer Kundinnen hat sie sogar aus Deutschland mitgenommen: „Die waren ganz aufgeregt, extra für Ihr Kleid nach Mallorca zu kommen!”
In der alten Heimat war ihr Atelier der Ort, an dem die Braut einen Augenblick der Ruhe finden konnte vom Stress der Hochzeitsplanung und der Großstadt. In Sineu ist das Erlebnis dieses wichtigen Moments noch viel stärker.
„Ich mache Kleidung, die dem eigenen Wohlbefinden dient”, erklärt Wolf und meint damit, dass nicht nur das Kleid an sich für die Kundin wichtig ist, sondern auch dessen Entstehung und vor allem die Wertschätzung, die man sich selbst gibt während des ganzen Prozesses, den man einfach nur genießen kann und sollte. „Jetzt habe ich wirklich noch nicht viele Aufträge, aber das kommt noch”, sagt Wolf mit Zuversicht in der Stimme. Sie hat auch Anfragen von Kundinnen, die nicht nach Mallorca kommen können. Dazu sagt sie gelassen: „Dann besprechen wir halt alles per Videogespräch und ich gebe die Anweisungen zum Abmessen über die Kamera durch und präpariere meine Puppe so, dass sie die richtigen Proportionen hat. Natürlich werde ich versuchen, Bräute vor Ort für meine Arbeit begeistern zu können, doch dafür muss ich noch an meinem Spanisch arbeiten.” Das Erstellen eines maßgefertigten Kleides dauert zirka eine Woche – wenn sie kontinuierlich daran arbeiten würde – und kostet zwischen 3500 und 8000 Euro (Infos unter annewolf.de) .
Und die Liebe zu Mallorca? Die entstand rein zufällig, als ihre Freundin Kiki Ochsenknecht sie 2016 in ihr Ferienhaus auf die Insel einlud. Vor allem die mallorquinischen Traditionen haben es ihr angetan: „Da willst du nur Obst kaufen und auf einmal rennen alle auf den Platz und tanzen mit ihren Kastagnetten. Das passiert dir in Pankow auf dem Markt nicht so einfach”, erwidert Wolf und lacht herzlich.
Auf die Frage, ob der Umzug nach Mallorca sich auf ihre Entwürfe auswirken wird, antwortet sie: „Da man sich als kreativer Mensch von seinem Umfeld inspirieren lässt, wäre es schräg, wenn die Insel keinen Einfluss auf mich hätte.” Aus diesem Grund hat sie auch nur wenige Modelle aus Berlin mitgebracht und will sich fortan von Meer und Strand, den Palmen und den Traditionen – wie Teufelsmasken – inspirieren lassen.
Bei ihrer Arbeit helfen Wolf einerseits ihre 18 Jahre an Erfahrung, andererseits die Tatsache, dass sie auf den Typ Frau, der vor ihr steht, und die entsprechende Figur achtet. Das Besondere an ihren Designs: sie sind nicht ganz so traditionell, wie die klassischen Spitzen-Kleider. „Ich möchte mit meiner Mode neue Möglichkeiten und Alternativen aufzeigen.” Ohne Team und auf sich allein gestellt hat sie jetzt die Zeit, sich zu fokussieren und auf die Frage zu konzentrieren, wie sie fortan ihren Beruf ausleben möchte. „Solange es uns hier gefällt, bleiben wir auch.”