Genau ist es auf dem schlecht auflösenden Schwarz-Weiß-Foto aus dem Jahr 1956 nicht zu erkennen, aber es werden wohl Mandel- oder Johannisbrotbäume sein, die dort auf den Feldern stehen, durch die sich ein schmaler Weg schlängelt. Später dann verläuft an gleicher Stelle eine asphaltierte, zwei-spurige Straße durch die mallorquinische Landschaft, wie die Luftaufnahme aus dem Jahr 2010 beweist.
Einige der Bäume stehen noch immer an Ort und Stelle. Die kargen Felder aber werden ganz offensichtlich nicht mehr bestellt. Dafür sind nun mehrere Sommerhäuschen zu sehen.
Wieder ein paar Jahre später hat sich das Szenario dann komplett gewandelt: Eine vierspurige Autobahn zieht sich wie eine Schneise durchs Bild. Dazu kommen zwei enorme Kreisverkehre, eine Untertunnelung und auf jeder Seite eine Zufahrtsstraße. Vom einstigen Idyll ist nichts mehr übrig.
Es handelt sich um einen Ort mitten im Nirgendwo zwischen Llucmajor und Campos. Jahrelang befand sich hier eine der unfallträchtigsten Strecken Mallorcas. Der Ausbau zur Schnellstraße löste das Problem, veränderte aber auch die Landschaft unwiederbringlich. Beispiele wie dieses, die den Wandel Mallorcas im Laufe der Jahrzehnte verbildlichen, gibt es zuhauf. Besonders gut ansehen kann man sich diese auf der Internetseite des kartografischen Dienstes der Balearen-Regierung, Sitibsa. „Viele Leute interessiert das”, sagt Xisca Mir, dessen Direktorin: „Zu sehen, wie sich die Insel verändert hat.”
Seit einigen Wochen ist das im vergangenen Jahr entstandene Fotomaterial abrufbar (auf der Internetseite https://ideib.caib.es/fototeca/, einfach rechts oben die rechte der drei Schaltflächen bedienen). Es handelt sich um Luftaufnahmen der gesamten Insel, die das Nationale Geografische Institut seit einiger Zeit im Dreijahresrhythmus anfertigen lässt – nicht nur von den Balearen, sondern vom ganzen Land. Die internetbasierte Anwendung ist aber viel mehr als nur eine Spielerei, sagt Mir. Die Fotos, die von Flugzeugen aus aufgenommen werden, die in langgezogenen Schleifen die Insel überfliegen, und nachträglich bearbeitet werden, um Verzerrungen durch Perspektive und Höhenunterschiede in der Landschaft zu entfernen, bilden die Grundlage für die Kartografierung Mallorcas. Die sogenannte Rektifizierung erlaubt das exakte Messen von Entfernungen und Längen, aber auch das Höhenprofil bestimmter Gegenden kann man sich ansehen.
Es gilt als offenes Geheimnis, dass die zuständigen Behörden des Inselrats das detailgenaue Fotomaterial nutzen, um Anhaltspunkte für etwaige Verstöße gegen die Bauvorschriften zu erhalten. Nach dem Motto: „Dieser Swimmingpool – war der nicht vor ein paar Jahren noch ein Regenwasserauffangbecken?”.
Das aber ist noch längst nicht alles. Per Mausklick lassen sich mehr als 100 unterschiedliche Ebenen einblenden, die Informationen zu den verschiedensten Themen beinhalten. So werden etwa die Standorte sämtlicher als außergewöhnlich unter Schutz gestellter Bäume angezeigt, sämtliche Kläranlagen der Insel, wo es Defibrillatoren gibt, wo sich die Meeresschutzgebiete befinden und wo die Waldbrandgefahr besonders hoch ist. Bei Ausflüglern beliebt seien auch die Informationen zu Wanderwegen in den Naturschutzgebieten der Insel, sagt Mir.
Aber noch aus einem anderen Grund ist die Sitibsa-Anwendung hilfreich. Denn das zugrundeliegende Kartenmaterial ist viel genauer und bietet viel mehr Details als etwa Google Maps. So sind neben Höhlen auch die vorgelagerten Inseln eingezeichnet – und benannt. Etwa 5500 Ortsbezeichnungen sind laut Mir balearenweit aufgeführt. „Dies ist mit Sicherheit die beste Mallorca-Karte, die es gibt”, sagt sie.
Als offizieller kartografischer Dienst der Balearen verfügt Sitibsa über die grundlegenden geografischen Daten der Balearen. Das ist hilfreich, kursieren doch in einigen Fällen widersprüchliche Angaben. So zum Beispiel, was den höchsten Punkt der Insel angeht, den Gipfel des Puig Major. Diesem wird mal eine Höhe von 1454 Metern zugeschrieben, dann wieder von 1445 Metern. Tatsächlich misst er laut Sitibsa genau 1436 Meter. Der Grund für das Zahlendurcheinander ist die Tatsache, dass die Spitze des Berges eingeebnet wurde, als man dort oben Ende der 1950er-Jahre eine militärische Überwachungsanlage installierte.
Sitibsa zufolge hat Mallorca eine Fläche von 3619 Quadratkilometern. Die kleinen vorgelagerten Inseln eingerechnet sind es 3622. Die zweitgrößte Baleareninsel Menorca misst 693 Quadratkilometer. Ibiza hat eine Fläche von 568, Formentera von 80 Quadratkilometern. Die Küstenlänge beträgt im Falle Mallorcas 729,59 Kilometer, die kleinen vorgelagerten Inseln eingeschlossen sind es sogar 782,85. Es folgt Menorca mit 366,8 Kilometern vor Ibiza (271,21), Formentera (89,75) und Cabrera (42,24).
Schon länger nicht mehr auf der Insel unterwegs waren die Mitarbeiter von Google Street View. Die Aufnahmen aus Palmas Straßen etwa stammen vom Oktober des Jahres 2019. Auch in Llucmajor entstanden damals Aufnahmen. Die Fotos aus Santanyí dagegen sind noch älter, sie wurden im November 2018 aufgenommen. Andratx wiederum wurde zuletzt im September 2016 abgelichtet, Artà gar im Juni 2012.
Spanien wurde im Jahr 2009 in den Dienst aufgenommen, der im kommenden Mai 15 Jahre alt wird. Die ersten Mallorca-Fotos entstanden im Winter des Jahres 2008. Mittlerweile ist die Insel flächendeckend erfasst, es gibt kaum noch blinde Flecken und auch nur sehr wenige Verpixelungen, wie es sie aus Datenschutzgründen etwa in Deutschland in großer Zahl gibt.
Auch Mallorcas Inselrat verfügt über einen kartografischen Dienst. Die Aufgabe der Behörde Infraestructura de Dades Espacials de Mallorca (Idelma) ist es, die Daten der verschiedenen Gemeinden zugänglich zu machen. Die entsprechende Internetseite ( idelma.cat ) befindet sich noch im Aufbau, schon jetzt aber kann man sich die Daten zahlreicher Gemeinden ansehen, die weit über das hinausgehen, was etwa Google Maps leistet. So kann man sich beispielsweise anzeigen lassen, wo im jeweiligen Ort sich bebaubare Flächen befinden. Auch die genaue Lage von Gemeindeeinrichtungen, der Verlauf der öffentlichen Wege oder die Daten des Katasteramtes sind zugänglich. Bislang haben noch nicht alle Gemeinden der Insel ihre Daten übermittelt, sodass das Angebot noch nicht vollständig ist.
(aus MM 14/2022)