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Die Glosse

Ich denke oft an Dschungel-Rudi / VON GABRIELE KUNZE

Ich denke oft an Dschungel–Rudi. Der Holländer hatte sich mit seiner Familie in einer Lichtung des venezolanischen Urwalds an einem idyllischen Flussufer niedergelassen. Kein Strom, kein fließendes Wasser, kein Komfort, von Luxus ganz zu schweigen. Sie lebten in einer einfach, aber liebevoll ausgestatteten Hütte. Zweimal pro Monate bestiegen sie ein Kanu, um in der nächst gelegenen Stadt die nötigsten Einkäufe zu machen. Ansonsten lebte die Familie autark. Die Kinder wurde mit äußerster Disziplin zu Hause unterrichtet.

Das einzige Zugeständnis an die Zivilisation war ein Diesel betriebener Generator, der allerdings nur dann angeworfen wurde, wenn Dschungel–Rudi seiner Leidenschaft frönen wollte. Musik bedeutete ihm viel. Und so hallten dann Beethovens Streichquartette oder Schumanns Klaviertrios durch den Urwald, und die Melodien der Meister mischten sich mit den Geräuschen des Dschungels, mit Vogelgezwitscher und Blätterrauschen, mit Zirpen und Quaken.

Doch es kam, wie es kommen musste: Irgendwann wurden Kanufahrten für Touristen auf dem Fluss organisiert. Die Ausflügler kehrten gerne bei Dschungel–Rudi ein. Es war spannend für sie, einen ,,Eingeborenen” live zu erleben, mit dem sie sich auch noch in jeder gewünschten europäischen Sprache verständigen konnten. Dschungel–Rudi zog die Konsequenzen. Jahr für Jahr zog er ein paar Meilen tiefer in den Urwald. Seit ein paar Jahren habe ich nichts mehr von ihm gehört.

Seit einiger Zeit denke ich mit Neid an ihn. Seit nämlich in meiner Bergeinsamkeit die Maschinen Einzug gehalten haben. Seit meine Nachbarn am Abend und an Feiertagen trimmen, mähen, schneiden, sägen, pflügen. Ein jeder ein Landmann aus Leidenschaft und Liebe. Die Vögel verstummen, so lange die Wochenendinvasion anhält, und die Kaninchen und Schnepfen sitzen verschüchtert auf einem Busch und warten, bis das Trommelfeuer vorbei ist.

Am Montagmorgen atmen die wilden Fasane mit mir gemeinsam auf. Ich stelle mir vor, wie die Tiere zusammen sitzen und beraten, was zu tun sei. Auswandern? Kaum möglich. Mallorca hat nun einmal natürliche Grenzen. Weiter in den Wald hinein flüchten? Auch das ist kein Vorschlag, das nächste Dorf liegt schon in Sichtweite. Bleibt nur eines: aushalten! Und davon zu träumen, immer eine Meile vor Dschungel–Rudi zu wohnen.

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