MM:Wenn Sie Ihre Amtszeit auf Mallorca Revue passieren
lassen, was kam hier völlig anders, als Sie es zunächst erwartet
hatten?
Karin Köller: Auf Mallorca leben so viele Deutsche, dass sich
daraus ein völlig anderes Aufgabenfeld ergeben hat, als ich es aus
Afrika und vorherigen Auslandsverwendungen kannte. Wenn ich an
meinen letzten Posten in Westafrika denke, an die Elfenbeinküste
verirrte sich nur selten ein deutscher Tourist und auch die Zahl
der deutschen Residenten war mit zirka 400 überschaubar. Hier sind
die Dimensionen ganz andere.
MM: Der Arbeitsanfall des Konsulats aufgeschlüsselt,
wieviel ist davon Nothilfe, wieviel Landratsamt, wieviel
Repräsentieren?
Köller: Wir sind hier mehr als anderswo Bürgerservice. Aufgrund des
gleichbleibend hohen Arbeitspensums kommen die Außenkontakte
manchmal zu kurz. Der Konsularalltag lässt mir nur wenig Zeit, um
diese Kontaktpflege intensiver zu gestalten. Es kommt immer wieder
vor, dass ich zugesagte gesellschaftliche Termine kurzfristig
absagen muss, weil ein Konsularfall dazwischenkommt.
MM: Was ist ein solcher Konsularfall? Wenn jemand seinen
Personalausweis verliert, muss doch nicht die Konsulin
umdisponieren?
Köller: Nein, grundsätzlich nicht. Aber auch die Konsulin ist Teil
des Konsularalltags mit einem fest umrissenen konsularischen
Aufgabengebiet und steht dafür, dass die Besucher während der
Öffnungszeiten unseren Service in Anspruch nehmen können. Wenn also
zum Beispiel nach einem schweren Verkehrsunfall meine Kollegin den
Betroffenen vor Ort beistehen muss, kann deswegen der sonstige
Service nicht zum Erliegen kommen. Dann stehe ich gemeinsam mit den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an vorderster Front. Das ist
unser Alltag, auch wenn es nicht immer möglich ist, allen
Erwartungen zu entsprechen. Wir sind Stadtverwaltung, Standesamt,
Notariat, Schnittstelle zu den innerdeutschen Behörden bis hin zur
ersten Anlaufstelle für soziale Fragen der Residenten.
MM: Und Touristen.
Karin Köller: Und natürlich Touristen. Obgleich diese nicht unsere
Hauptklientel sind. Die deutschen Urlauber sind noch immer zum
größten Teil Pauschaltouristen und werden in der Regel vom
Reiseveranstalter versorgt. Das Konsulat wird nur bei
schwerwiegenden Problemen zu Rate gezogen, beispielsweise bei einer
Verhaftung, ungewöhnlichen Todesfällen oder wenn Minderjährige
betroffen sind.
MM: Haben die meisten eine falsche Vorstellung von dem,
was das Konsulat an Hilfen leisten kann und was nicht?
Köller: Gemeinsam mit meinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen habe
ich vom ersten Moment an versucht, und ich tue das noch, unseren
Kunden begreiflich zu machen, wo unsere Grenzen sind. Aber es gibt
selbstverständlich immer wieder auch diejenigen, die es einfach
ausprobieren und versuchen, ihre Möglichkeiten auszuloten. Es kann
dann schon mal heißen: „Vorhin an der Plaza de España hatte ich
noch 7000 Euro in der Tasche, und die sind mir jetzt gestohlen
worden”. Da müssen die Mitarbeiter schon mit viel Menschenkenntnis
und Fingerspitzengefühl die Spreu vom Weizen trennen.
MM: Konkret: Nothilfe kann also nur aus einem
Rückflugticket bestehen, nicht aber aus Geldhilfe vor Ort?
Köller: Die sogenannte „Nothilfe” besteht in erster Linie aus einer
Beratung. Das Ziel ist Hilfe zur Selbsthilfe. Das nimmt Zeit in
Anspruch. Es wird relativ aufwendig geprüft, wie sich der
Betroffene selbst aus der Notsituation befreien kann. Durch Anrufe
bei Verwandten, dem Arbeits– beziehungsweise Sozialamt etcetera.
Oftmals kommt man damit schon zu einem Ergebnis. Wenn nicht, muss
noch einmal abgewogen werden, ob die Notsituation die Gewährung
einer Konsularhilfe rechtfertigt, die in der Regel aus der
Vorfinanzierung der umgehenden Heimreise besteht und auf jeden Fall
in Deutschland wieder zu erstatten ist. In diesem Jahr waren das
bisher 18 Fälle, also gemessen an der Zahl der Hilfesuchenden
relativ wenige.
MM: Haben Sie den Eindruck, dass angesichts der
wirtschaftlichen Lage in Deutschland mehr Sozialfälle nach Mallorca
abwandern?
Köller: Ja, ich denke, dass gerade in diesem Jahr die Zahl derer
zugenommen hat, die auf die Insel kommen und eigentlich schon bei
der Ankunft wissen, dass das Geld nicht lange reicht. Die Hoffnung
für diese Personengruppe, hier einen Job zu finden, ist ziemlich
aussichtslos und ich vermute, dass es einige Deutsche gibt, die
hier unter schwierigen Bedingungen leben.
MM: Was für einen Eindruck haben Sie von der deutschen
Residentschaft auf der Insel?
Köller: Nach drei Jahren Mallorca wage ich zu sagen, dass es
Individualisten sind. Man lebt für sich im persönlich gewählten
Umfeld, im Bekannten– und Freundeskreis. Ich finde das auch
durchaus normal und legitim in einem EU-Land mit der
Infrastruktur.
MM: Haben Sie nicht den Eindruck, dass mitunter mehr
Gemeinschaft vonnöten wäre? Stichwort, die zwar reichen, aber
vereinsamten Residenten, die ihre Langeweile im Alkohol
ertränken.
Köller: Ich glaube schon, dass die Einsamkeit der Menschen ein
Problemfaktor ist. Es ist eine gesellschaftliche Gesamtentwicklung,
dass sich die Familienstrukturen verändern und Menschen
vereinsamen, wenn sie es, aus welchen Gründen auch immer, verpasst
haben, sich rechtzeitig einen Freundeskreis oder zumindest ein
kleines soziales Netzwerk zu schaffen. Nach der Erfahrung in meinem
Alltag hier sind es gerade die Menschen, die irgendwann ganz
bewusst Mallorca als Rückzugsort für sich und die Partnerin oder
den Partner gewählt haben. Ich denke, es ist nicht einfach, sich
aus der selbstgewählten Isolation zu befreien und aktiv zu
werden.
MM: Hapert es im Zusammenleben mit den
Mallorquinern?
Köller: Also, soweit ich das beurteilen kann, finde ich, dass die
Mallorquiner und die Deutschen ganz gut miteinander leben. Ich
denke, dass eine freundliche, respektvolle nachbarschaftliche
Beziehung völlig ausreicht. Und wenn die Chemie stimmt und man sich
auch sprachlich versteht, können sich Freundschaften entwickeln,
wie überall auf der Welt.
MM: Müsste die Bundesrepublik nicht mehr tun, um eine
deutsche Auslandsschule wie in Madrid oder Barcelona zu
ermöglichen?
Köller: Was Mallorca angeht, ist meiner Meinung nach die Chance
leider schon ganz früh – von wem auch immer – verpasst worden, als
es noch Möglichkeiten der Förderung gab. Der Blick auf die
sogenannten Deutschen Schulen in Spanien zeigt, dass diese vor 50,
gar 100 Jahren gegründet wurden. Es sind etablierte und gewachsene
Schulen. Dieses Modell einer staatlich geförderten Auslandsschule
gibt es heute so nicht mehr. Zur Zeit bleibt nur die Möglichkeit
der Privatinitiative und die Beantragung einer punktuellen
Förderung, etwa für Schulbücher oder Mobiliar.
MM: Wie könnte das Konsulat verstärkt Flagge zeigen auf
Mallorca?
Köller: Wir sind als Außenstelle des Generalkonsulats Barcelona mit
dem hier zur Verfügung stehenden Personal mit unserem
konsularischen Auftrag, dem Bürgerservice, mehr als ausgelastet.
Ich würde mir schon wünschen, ein wenig präsenter sein zu können,
etwa mit punktuellen Aktionen. Die bevorstehende
Fußball-Weltmeisterschaft könnte ein Aufhänger sein. Daran arbeite
ich. Das ist ein Ereignis, das die Menschen verbindet, und eine
Chance, unser Land positiv darzustellen.
MM: Was ist mit dem 3. Oktober? In den Vorjahren gab es
Kritik, dass nur ein sehr kleiner Kreis von deutschen Residenten
zum Empfang des Konsulats geladen war.
Köller: Der Empfang zum Nationalfeiertag ist vor allem ein
Instrument der sogenannten „Public Diplomacy”. Die
Auslandsvertretungen nutzen den Tag, um den Gesprächspartnern und
offiziellen Vertretern des Gastlandes für die Zusammenarbeit zu
danken und für Deutschland zu werben. Soweit möglich, werden
sogenannte Funktionsträger des eigenen Landes, also Vertreter der
Kirchen, großer Firmen, politischer Stiftungen etcetera ebenfalls
eingeladen. Es ist nicht etwa ein Fest für die Deutschen, auch wenn
es natürlich für uns ein ganz besonderer Tag und deswegen in
Deutschland auch ein Feiertag ist.
MM: Was passiert in diesem Jahr?
Köller: In diesem Jahr wird es hier auf der Insel keinen Empfang
geben. Er findet in Barcelona und Valencia statt, wo in dieser
Woche die Gorch Fock, die wir im Jahre 2004 zu Gast hatten,
festmacht.
MM: Was ist Ihre „Lieblingslocation”, wenn Sie einmal
Freizeit haben?
Köller: Meine Terrasse zu Hause (lacht). Aber tatsächlich, einer
meiner Lieblingsplätze ist Miramar, einer der Landsitze des
Erzherzog Ludwig Salvator an der Tramuntana-Küste. Da einfach
hinfahren, einen Picknickkorb mitnehmen, zur Ruhe kommen. Ich
vermute, dass jeder, der hier wohnt, so seinen Ort hat, wo er seine
eigene Muße finden kann.
Mit Konsulin Karin Köller sprachen
Bernd Jogalla und Alexander
Sepasgosarian.