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Gewerkschaftschef schließt soziale Unruhen auf Mallorca nicht aus

Gewerschafts-chef Antonio Copete (62) ist Optimist. Er hofft, dass ein geeigneter Impfstoff die kommende Urlaubssaison rettet. Ansonsten hält er soziale Unruhen für nicht ausgeschlossen. | Patricia Lozano

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Ein paar Fakten vorweg: Fast 82.000 Arbeitslose und mehr als 31.000 Menschen in Kurzarbeit (spanisch: ERTE) zählt das statistische Institut der Balearen zurzeit (Stand: Ende Oktober). Besonders stark von der Coronakrise betroffen sind die sogenannten „Fijos discontínuos”, die Saisonarbeitskräfte, die die große Mehrheit der Beschäftigten in der Tourismusbranche ausmachen. Ihre Zahl sank um 40 Prozent, nämlich von gut 137.570 im Vorjahr auf derzeit rund 85.000.

Mallorca Magazin:Die Coronakrise wirkte sich dramatisch auf die Tourismusbranche aus. Was waren die entscheidenden Faktoren?

Antonio Copete:Der Beginn der Pandemie fiel mit dem Start der Urlaubssaison zusammen und sorgte für eine Vollbremsung. Und ausgerechnet als das Urlauber-Pilotprojekt an der Playa de Palma im Juni ins Laufen kam, wurden Reisewarnungen beschlossen. Die Saison fiel damit komplett ins Wasser.

MM:Was hat die Gewerkschaft unternommen, um den Arbeitnehmern zu helfen?

Copete:Wir haben im Schulterschluss mit der Balearen-Regierung mit der Regierung in Madrid verhandelt und Kurzarbeit bis Ende September durchgesetzt. Die Arbeitsministerin und der Minister für soziale Sicherheit kamen eigens auf die Balearen, um sich ein Bild von der schwierigen Situation im Tourismus zu verschaffen. In einem zweiten Schritt wurde die Kurzarbeit nochmals bis Ende Januar verlängert. Noch ist unklar, wie es danach weitergeht. Die UGT will sich in jedem Fall für eine weitere Verlängerung engagieren.

MM:Firmen auf den Balearen haben noch häufiger als im Rest Spaniens Kurzarbeit beantragt. Welche staatliche Hilfe gibt es noch für Arbeitnehmer?

Copete:Generell erwerben sie pro Arbeitsjahr Anspruch auf vier Monate Arbeitslosengeld, nach sechs Monaten Arbeit verlängert sich der Anspruch wieder um zwei Monate. Läuft das Arbeitslosengeld aus, zahlt der Staat eine „Ayuda mínima”, diese Mindestunterstützung in Höhe von etwa 420 Euro kann sechs Monate lang bezogen werden. Ab einem Alter von 52 Jahren wird sie bis zum Renteneintrittsalter ausbezahlt. Wir haben außerdem durchgesetzt, dass auch temporäre Aushilfskräfte Zuschüsse zum Lebensunterhalt erhalten. Für die „Fijos discontínuos”, die rund 70 Prozent der Mitarbeiter im Tourismus ausmachen, funktioniert das System seit der Pandemie aber nicht mehr.

MM:Können Sie das näher erläutern?

Copete:Bislang konnten sich Saisonkräfte jedes Jahr Ansprüche auf Arbeitslosengeld für die Wintermonate sichern. Die Kurzarbeit verhindert dies nun. Denn obwohl Arbeitgeber und Arbeitnehmer während des Bezugs von Kurzarbeitergeld in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, werden daraus erwachsende Ansprüche vom hiesigen Arbeitsamt (SEPE) nicht anerkannt, der Staat spart so viel Geld. Man könnte dagegen klagen, die Erfolgsaussichten schätze ich als gut ein. Aber die spanische Justiz mahlt sehr langsam, das Verfahren würde sich über Jahre hinziehen. Umso wichtiger ist es, dass Kurzarbeitergeld bis zum Beginn der nächsten Saison gezahlt wird, damit die Betroffenen bis zum Antritt eines neuen Jobs ihren Lebensunterhalt sichern können.

MM:Mit welchen Anliegen kommen Menschen zu Ihnen?

Copete:Es wenden sich viele verzweifelte Familien an uns. Wir vermitteln sie an Sozialdienste weiter, wo man sich etwa um die Organisation von Zahlungsaufschüben kümmert oder sie Essenspenden erhalten. Viele Arbeitnehmer beklagen sich über die fehlende oder verspätete Auszahlung des Kurzarbeitergelds. Wir haben dies mehrfach beim SEPE angemahnt. Die Regierung war schlecht auf die Coronakrise vorbereitet und hat nicht ausreichend Verwaltungsressourcen bereitgestellt. Das muss besser werden. Es ist wie beim neuen „Ingreso Mínimo Vital” (eine soziale Mindestabsicherung auf unbestimmte Zeit): Es gibt gute Gesetze, aber die Umsetzung ist schlecht.

MM:Mit welchen Gefühlen blicken Sie in die kommende Feriensaison?

Copete:Mir bereitet große Sorgen, dass zurzeit viele Hotels an Investmentfonds verkauft werden. Diesen Käufern geht es um Gewinnmaximierung, die Personalsituation interessiert da weniger. Das könnte Folgen für den Arbeitsmarkt haben. Auch für ältere Arbeitnehmer könnte es schwierig werden. Die Hotellerie benötigt vorrangig junge Mitarbeiter mit Fremdsprachenkenntnissen. Ansonsten bin ich von Natur aus Optimist. Ich hoffe, dass die nächste Saison mit Hilfe geeigneter Medikamente und einer Impfung so normal wie möglich verlaufen wird. Im schlimmsten Fall fällt sie aber erneut ins Wasser. Das wäre ein Desaster, denn wegen leerer Staatskassen gäbe es kein Geld mehr für Kurzarbeit. Bei einer weiteren Corona-Saison drohen soziale Unruhen. Ohnehin ist es jetzt schon so, dass die Familie sehr viel auffängt. Großväter finanzieren mit ihrer Rente Kinder und Enkel, ohne sie gäbe es jetzt schon eine Revolte.

MM:Sehen Sie eine Möglichkeit, die Abhängigkeit Mallorcas vom Tourismus langfristig zu verringern?

Copete:75 bis 80 Prozent der Wirtschaft hängt am Tourismus, das ist nicht gut, aber ich sehe keine Alternative. Traditionelle Industrien wie die Schuh- und Perlenherstellung sind Geschichte, die Marken wurden verkauft, die Produktion ausgelagert. Sicher können wir im Bereich Innovation und Technologie etwas aktiver werden, aber wir werden dem Silicon Valley keine Konkurrenz machen können. Als Lösung bleibt, den Tourismus zu diversifizieren, nicht nur auf Sonne und Meer zu setzen und die Reisesaison aufs ganze Jahr auszudehnen. Anders als etwa Ägypten ist und bleibt Mallorca nicht nur ein schönes, sondern vor allem sicheres Reiseziel.

Die Fragen stellte MM-Redakteurin Maike Schulte

Die Unión General de Trabajadores (UGT) ist eine spanische Arbeitergewerkschaft. Sie wurde 1888 in Barcelona gegründet und ist mit fast einer Million Mitglieder nach der CCOO (Comisiones Obreras) die zweitwichtigste Gewerkschaft in Spanien.

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