Eigentlich wollte Renate Klingspor Anfang Oktober gemeinsam mit ihrem Mann erneut ein paar Tage in ihrer Ferienwohnung in Port d’Andratx verbringen. Jetzt sucht sie nach Ausflüchten, um die Reise doch noch absagen zu können. Denn so richtig wohl fühlt sich die Münchnerin auf der Insel derzeit nicht mehr. Das liegt daran, dass ihr während ihres letzten Mallorca-Aufenthaltes Ende August Schlimmes widerfuhr. Damals wurden sie und ihr Mann in ihrer Wohnung ausgeraubt, gleich in der ersten Nacht nach ihrer Ankunft.
„Wir hatten noch ein Glas Wein getrunken und waren dann ungefähr um Mitternacht im Bett”, erinnert sie sich. Am nächsten Morgen wachte Klingspor erst gegen halb zehn wieder auf. „Das war schon sehr ungewöhnlich”, sagt sie. „Normalerweise werde ich immer um sieben wach.” Sie ist überzeugt, dass ihr Mann und sie betäubt wurden. „Mir war richtig schlecht nach dem Aufwachen.” Klingspor vermutet, dass jemand Gas in ihre Wohnung einleitete, möglicherweise durch ein gekipptes Fenster.
Nach und nach realisierte das Paar an jenem Morgen, was geschehen war. Die Handtasche lag ausgekippt auf dem Fußboden, das Bargeld fehlte, ebenso die Autoschlüssel und das Auto selbst. Bald war den beiden klar, dass offenbar Einbrecher am Werk gewesen waren. Wie sie sich Zutritt in die in einer Apartmentanlage gelegene Wohnung verschafft hatten, wissen sie bis heute nicht. „Für mich ist klar, dass das absolute Profis waren”, sagt Klingspor. „Sie haben ganz gezielt nur mitgenommen, was wirklich wertvoll war.” Neben Bargeld und dem Auto auch zwei teure Handtaschen, Sonnenbrillen und eine Armbanduhr.
„Ich habe seitdem immer das Gefühl, dass jemand neben mir steht”, sagt Klingspor. „Ich habe Angst, ins Bett zu gehen. Das Schlafzimmer ist ja der intimste Ort, den man hat.” Und dort standen in jener Nacht also die Einbrecher, direkt neben ihr. „Es fühlt sich schlimm an.” Bisher hatten sich die beiden auf der Insel immer sicher gefühlt. Auch, weil sie stets vorsichtig und zurückhaltend waren. Damit ist es nun vorbei. „Wir fühlen uns nicht ausreichend beschützt. Es ist schlimm zu wissen, dass nicht ausreichend Polizei da ist.”
Dass die Lokalpolizei in Andratx chronisch unterbesetzt ist, ist ein offenes Geheimnis im Ort. Im Juli war der Personalmangel gar so groß, dass die Wache nachts zwischenzeitlich überhaupt nicht mehr besetzt war. „Früher fuhren die Beamten noch auf Patrouille”, sagt Klingsporn. „Das gibt es nicht mehr.” Das wüssten auch die Einbrecher. Rufe man nachts die Polizei an, müsse die aus dem benachbarten Calvià kommen. „Bis die da sind, bist du tot.”
Ganz so dramatisch sei die Lage nicht, beteuert Estefania Gonzalvo, seit Anfang Juli Bürgermeisterin des Küstenortes, in dessen Neubausiedlungen unzählige Millionärsvillen stehen. Die nächtliche Schließung der Polizeiwache habe nur wenige Tage angedauert und die Anrufe seien während der Zeit zur Guardia Civil umgeleitet worden. Den Mangel an Polizisten habe sie von ihren Vorgängern geerbt, sie sei nun dabei, das Problem zu lösen.
Von den 52 Stellen der Lokalpolizei in Andratx seien derzeit etliche unbesetzt. Zum Teil wegen mehrerer Krankmeldungen, zum Teil, weil die Arbeitsbedingungen im Ort nicht die besten sind – zumindest im Vergleich mit anderen, größeren und finanzkräftigeren Gemeinden wie Calvià oder Palma. 500 Euro pro Monat könne der Gehaltsunterschied ausmachen, heißt es bei der Gewerkschaft der Lokalpolizisten. Daher waren zuletzt zahlreiche Beamte dorthin abgewandert. Um gegenzusteuern, will Gonzalvo nun höhere Gehälter zahlen. „Calvià hat aber einen fünfmal so hohen Etat wie wir. Wir können nicht dieselben Konditionen bieten”, sagt sie. Der Mangel an Polizisten sei ein balearenweites Problem. Vor allem kleinere Gemeinden hätten immer wieder Probleme, alle Posten zu besetzen.
Laut Gewerkschaft der Lokalpolizisten ist das Problem allerdings weniger der Mangel an Interessenten, als vielmehr der fehlende politische Wille. Freie Stellen würden häufig nicht wieder ausgeschrieben, falls doch, sei das Auswahlprozedere kompliziert und langwierig. Es komme immer wieder vor, dass in manchen Gemeinden die Nachtschicht gestrichen werden muss. Es gebe Dörfer, da tue nur ein einziger Lokalpolizist Dienst. „Sicherheit kostet nun einmal Geld”, so ein Gewerkschaftssprecher.
Aber selbst in der Inselhauptstadt liegt einiges im Argen. Findet zumindest Jaime Martínez. Der Vorsitzende der konservativen PP in Palma kritisierte die von den Sozialisten geführte Stadtverwaltung kürzlich vehement wegen deren Personalpolitik. In den vergangenen 20 Jahren sei die Zahl der Lokalpolizisten in Palma von mehr als 1000 auf etwa 600 gesunken – während die Einwohnerzahl um 120.000 stieg. Deshalb sei Palma seit 2016 in der Rangliste der unsichersten Großstädte Spaniens von Rang 16 auf Rang fünf vorgerückt.
Auch die Vorsitzende des Dachverbandes der Nachbarschaftsvereinigungen, Maribel Alcázar, kritisiert den Personalmangel bei der Lokalpolizei in Palma. Dieser sei unter anderem auf eine ungleiche Verteilung der Einsatzkräfte zurückzuführen. „Die Touristen sind ziemlich gut geschützt. Das gilt aber nicht für uns Einwohner.” Im Sommer würden stets Polizisten in die Urlauberzonen an der Küste beordert, die dann in anderen Stadtvierteln fehlen. „Palma ist keine unsichere Stadt, nein”, sagt sie. „Aber wir fühlen uns dennoch diskriminiert.”
Jedoch ist die Lage auch an der Playa de Palma, der wichtigsten Touristenmeile der Stadt, alles andere als zufriedenstellend. So sehen das zumindest die dortigen Anwohnerverbände. Die kritisieren schon seit vielen Jahren ebenfalls, dass es im Sommer an Polizisten fehle. Dies sei der Hauptgrund, weshalb es so schwer sei, die Benimmregeln durchzusetzen und Saufexzesse in der Öffentlichkeit zu verhindern. Vor allem müssten die Polizisten nicht nur in ihren Autos die Promenade auf und ab fahren, sondern zu Fuß patrouillieren und so Präsenz zeigen.
Die offizielle Kriminalitätsstatistik vom spanischen Innenministerium offenbart derweil einen positiven Trend. Mit 57,7 Straftaten pro 1000 Einwohnern lag der Wert auf den Balearen laut der Vertretung der Zentralregierung auf den Balearen zwischen April und Juni so niedrig wie noch nie in den vergangenen zehn Jahren – lässt man einmal die beiden Corona-Jahre außer Acht, in denen die Zahl naturgemäß sehr viel niedriger lag. Auch in Palma lag die Kriminalitätsrate mit 73,3 zuletzt niedriger, als in den Vor-Corona-Jahren.
Im spanienweiten Vergleich liegen die Balearen allerdings weiterhin unangefochten auf Rang eins der Regionen mit den höchsten Kriminalitätsraten, gefolgt von Madrid (57,2 Straftaten pro 1000 Einwohnern) und Katalonien (56,5). Das ist schon seit vielen Jahren so und hat damit zu tun, dass die Inseln als Tourismusdestinationen Jahr für Jahr Millionen Menschen anlocken – was die Statistik verzerrt. „Die Kriminalitätsrate wird auf der Grundlage der Einwohnerzahl ermittelt und lässt die nicht ständige Bevölkerung außer Acht”, heißt es bei der Vertretung der Zentralregierung auf den Balearen.
Im ersten Halbjahr 2022 wurden auf den Balearen genau 33.541 Straftaten angezeigt. Das häufigste Delikt waren Diebstähle (9922 Fälle), gefolgt von Einbrüchen (1294, davon 930 in Wohnungen), Autodiebstählen (653) und Raub-überfällen (557). Zu letzteren zählen etwa die zum Teil brutalen Überfälle spezialisierter Banden auf Urlauber, bei denen diesen die teuren Uhren vom Handgelenk gerissen werden. Immer wieder sorgen solche Geschehnisse für Schlagzeilen, so auch in diesem Sommer.
Alles in allem aber ist Mallorca doch eine vergleichsweise sichere Destination. Sagt zumindest Wolfgang Engstler, der deutsche Konsul in Palma. „Mallorca ist ein sicheres Reiseziel, aber wie überall ist eine gesunde Vorsicht angebracht”, sagt er. „Gerade die Kleinkriminalität wird von Touristen häufig unterschätzt, da sie nicht so offensichtlich ist und man hier nicht unbedingt damit rechnet.”
Das Konsulat ist vor allem in Fällen involviert, in denen Urlauber Opfer von Diebstählen werden und dann ohne Ausweispapiere dastehen. Wolfgang Engstler erklärt dazu, dass nach Gesprächen mit verschiedenen Fluggesellschaften diese in der Regel mittlerweile eine Verlustanzeige der spanischen Polizei samt Kopie des Reisedokumentes akzeptieren, um nach Deutschland zurückreisen zu können. „Daher ist es immer hilfreich, eine Kopie des Ausweises zu machen.” Teilweise werde auch der Führerschein akzeptiert. „In den meisten anderen Fällen, in denen Deutsche auf Mallorca Opfer von Kriminalität werden, kann das Konsulat wenig hilfreich sein. Wir empfehlen, Anzeige zu erstatten und stellen auch eine Rechtsanwaltsliste zur Verfügung.”
Fallen, in die Urlauber immer wieder tappen, sind neben Hütchenspielern und Nelkenfrauen zunehmend auch Betrügereien im Zusammenhang mit der Ferienunterkunft. Das bestätigt Jordi Cerdó vom Ferienvermietungsverband ETV. Fälle, in denen Touristen erwartungsfroh auf der Insel landen und dann feststellen müssen, dass das vermeintlich gemietete Ferienhaus überhaupt nicht existiert, gebe es regelmäßig. „Die Leute sind einfach zu leichtgläubig”, sagt er. Man müsse die Angebote schon etwas genauer prüfen, bevor man Geld überweist. Zumindest müsse klar sein, wer der Eigentümer des Hauses ist, und mit dem sollte man dann auch einmal telefoniert haben. Außerdem sei es ratsam, vorab lediglich eine Anzahlung zu leisten.
„Das Problem sind die Leute, die einen Mercedes zum Preis eines Ford Fiesta kaufen wollen”, sagt Cerdó. „Solche Schnäppchen aber gibt es nicht.” Dabei handele es sich dann eben häufig um Betrug. Alles in allem halte er Mallorca aber nach wie vor für eine sichere Destination. „Es gibt wenig Kriminalität.” Das liege auch daran, dass es sich eben um eine Insel handele und man nur per Schiff oder Flugzeug fliehen könne. „Mallorca ist eine Falle für Kriminelle: Früher oder später werden sie gefasst.”
Das kann Renate Klingspor jedoch nicht trösten. Das Einbruchsopfer aus Andratx hat das Vertrauen in die Institutionen verloren. „Die Gemeinde Andratx ist offensichtlich nicht in der Lage, die Leute zu beschützen.” Und das, obwohl es dort so viele wohlhabende Einwohner gebe. Sie und ihr Mann erwägen nun, eine Alarmanlage in ihrer Ferienwohnung einzubauen. Auch wenn das eigentlich nicht das ist, was sie wollen. „Es ist doch schade, wenn man sich im Urlaub so abschotten muss.”