In einem Sport, in dem der Ball mit bis zu 180 Stundenkilometern über den Tisch zischt, braucht man mehr als nur gute Reflexe – man braucht Hingabe, Durchhaltevermögen und eine Portion Wahnsinn. Tina Schmid, 43, hat von allem genug. Die gebürtige Schweizerin aus Wil stand einst als Teenager im Nationaltrikot am Tisch, reiste zu Weltmeisterschaften rund um den Globus, verzichtete auf Partys, Pausen und Pubertät – und ließ den Schläger dann für fast ein Jahrzehnt in der Schublade verschwinden. Heute lebt sie auf Mallorca, spielt wieder Tischtennis – als einzige Frau in einer Männermannschaft – und trainiert als Personal Coach Menschen mit nichts weiter als einer Gummischlinge und viel Energie.
"Ich habe mit neun Jahren angefangen, eine Schulfreundin hat mich zum Training mitgenommen", erzählt sie. Schon ein Jahr später wurde sie ins Nachwuchsteam der Schweizer Nationalmannschaft aufgenommen, gefördert, geformt und auf den internationalen Sportbetrieb vorbereitet. "Ich war ständig unterwegs – Turniere, Trainingslager, Europa-, Weltmeisterschaften. Mein Jugendleben? Das hab ich eigentlich verpasst", sagt sie nüchtern.
Von Ruhm und Medaillen alleine kann man nicht leben
Während andere den ersten Kuss und das erste Bier zelebrierten, schlug Tina Vorhand-Topspins auf Platten in Prag, Paris oder Portugal. Ihr größter Erfolg? Schweizer Meisterin – im Einzel, im Doppel, im Mixed, Nachwuchs und Elite.
Doch von Ruhm und Medaillen allein lebt es sich schlecht – zumindest im Tischtennis. "Man verdient einfach kein Geld, selbst wenn man ganz vorne mitspielt", sagt sie. Nach der Schule machte sie auf Druck der Eltern eine kaufmännische Lehre, jobbte halbtags, trainierte nachmittags und abends, lebte zwischen Büro und Boxspringbett in der Turnhalle.
"Irgendwann habe ich gemerkt: Das ist keine Zukunft", erinnert sie sich. Der Traum von Olympia? Unerfüllt. "Wir haben lange überlegt, ob ich ins Ausland gehen soll, in ein Internat für Spitzensportler. Aber meine Eltern und ich haben uns dagegen entschieden." Stattdessen folgte der Rückzug aus dem Nationalteam. Nur nicht ganz aufhören, das war die einzige Bedingung. Der Ehrgeiz blieb, aber der Schläger verstaubte.
Erst ein Zufall auf Mallorca brachte alles zurück. "Ich habe vor zwei Jahren eine alte Freundin aus Kindertagen wiedergetroffen, wir hatten zusammen Tischtennis gespielt. Sie hat mich total inspiriert." Tina setzte sich an den Laptop, suchte nach Vereinen auf der Insel – und wurde in Palma fündig. Eine Mail an den Clubpräsidenten, ein Probetraining, eine Woche später die Spieler-lizenz. "Ich wurde herzlich aufgenommen, obwohl ich die einzige Ausländerin bin – und die einzige Frau. Es gibt keine anderen Frauen im Club."
Heute spielt sie jeden Samstag in der regionalen Liga – gegen Männer, versteht sich. "Wir sind zwölf Mannschaften, sechs auf Mallorca, vier auf Menorca, zwei auf Ibiza. Wir reisen viel." Aufstieg? Nein. Abstieg? Auch nicht. "Wir haben uns gehalten", sagt sie lakonisch.
Der Unterschied zu früher? Kein Leistungsdruck mehr
Der Unterschied zu früher? Kein Leistungsdruck mehr. "Ich will immer noch gewinnen, aber ich muss nicht mehr. Der Sport macht mir wieder Spaß, weil es um nichts mehr geht außer um den Moment." Was sie am Spiel fasziniert? "Die Geschwindigkeit, das Reaktionsvermögen, das Antizipieren. Du musst vorausdenken, wo der Ball hinkommt – und das in Sekundenbruchteilen. Das macht den Kick aus."
Auf der Insel fühlt sie sich angekommen. Der Weg dorthin führte über mehrere Etappen: Zuerst war sie Fahrrad-Guide in der Vorsaison, später arbeitete sie in einer Tauchschule, pendelte zwischen Schweiz und Mallorca, bevor sie endgültig blieb. Heute lebt sie ihren zweiten Traum: als Personal Trainerin. "Ich trainiere Menschen mit ihrem eigenen Körpergewicht, bei ihnen zu Hause oder am Strand. Ich benutze nur einen Schlingentrainer, Tubes und das, was da ist", erklärt sie. 2006 machte sie ihren eidgenössischen Fachausweis als Fitness- instruktorin, seitdem arbeitet sie in der Branche. In der Saison hilft sie nebenbei noch bei einem Fahrradverleih – aber ihr Ziel ist klar: "Ich will mich ganz auf Personal Training konzentrieren."
Tina Schmid hat zweimal begonnen – einmal mit neun, einmal mit 41. Ihre Geschichte zeigt: Wer einmal für etwas gebrannt hat, kann das Feuer jederzeit wieder entfachen. Auch wenn der Gegner männlich ist und der Tisch wackelt – wichtig ist nur, dass der Ball richtig schnell übers Netz zischt.