Die Entschleunigung nimmt von einem Besitz, sobald der Pass „Coll de Sa Palomera” überwunden ist. Nur 124 Meter ist dieser zwar hoch, doch manch eine Steigung ist nur im ersten Gang zu meistern. Dem bergigen Umland ist es wohl geschuldet, dass in Sant Elm – dem westlich-sten Küstendörfchen der Insel – die Ruhe fast fühlbar ist. Es ist Montag, 8. Mai, die Sonne brennt, aber nur wenige Urlauber verlieren sich auf dem kleinen Strand neben dem neu renovierten, aber noch nicht geöffneten Aquamarin-Hotel, dem ersten Haus am Platz. Auf der Fußgängerzone Avenida Jaume I. scheinen die Menschen erheblich langsamer zu flanieren als woanders, auf mehreren öffentlichen Bänken mit Direktblick auf das türkisblaue Meer sitzen Einheimische oder Ausländer und wirken völlig gelassen. Auto- und Baulärm sind nur sehr vereinzelt zu vernehmen.
Hetze gibt es in Sant Elm oder San Telmo – wie der abgeschiedene Ort schicker auf Spanisch heißt – nicht. Man isst gepflegt mit Meerblick wie im Edelrestaurant „Na Caragola” oder im „El Pescador” und man schaut sich hippe Läden mit Ibiza-Bekleidung und anderen Mode-Accessoires oder Geschenkartikeln an. So wie Lothar Hofmann aus Berlin. „Ha, hier könnte ich 100 Jahre leben”, freut sich der Deutsche über die Stille des Ortes. Er hat zusammen mit seiner Frau ein Apartment angemietet. „Man kommt irgendwie zu sich selbst, was soll ich am Ballermann?”. Um diesen Zustand vollkommener Tiefenentspannung zu erreichen, den man durchaus als Telmo-Gefühl bezeichnen kann, gibt es allerlei versteckt liegende Plätze direkt am Meer, wo man sich auf sein Handtuch betten und teils von Sand und teils von Felsen aus ins Meer gehen kann. Leiser Baulärm in der fernen Kaninchen-Bucht lässt nur erahnen, dass dort gerade ein Ex-Poollokal, das vor vielen Jahren illegal aktiv war, von einem Bagger zwecks Renaturierung eingeebnet wird. Noch ruhiger als ohnehin schon dürfte es auf dem vorgelagerten Inselchen Dragonera zugehen, wohin man am Tag mehrfach vom Hafen aus fahren kann und wo sich Eleonoren-Falken und Sargantanes-Echsen gute Nacht sagen.
Und wenn man einen dieser entschleunigten Telmo-Tage gemächlich hinter sich gebracht hat, kann man das Wonnegefühl mit mediterranen italienischen Momenten sogar noch perfektionieren: Eis essen gehört dazu, auch der Besuch der ausnehmend geräumigen „Trattoria Battiato”, wo die „Linguine del Mar” für 17,30 Euro so abgerundet munden, als wäre man auf Capri.
Einige Mitarbeiter der Gastbetriebe scheinen indes noch nicht ganz zufrieden mit dem Urlauberaufkommen zu sein: „Das wird schon noch besser werden”, ruft eine Mitarbeiterin der „Bar d’Carmen” mit andalusischem Akzent und Reibeisenstimme einer Kollegin zu. Es ist Mittag, und noch kein Gast hat sich in ihr Lokal verloren. In das Gezeter der Frau mischt sich das halblaute Pfeifen von Vögeln.
Ungeachtet einiger nervöser Beschäftigter hat das gedämpfte Dasein hier alles im Griff. Und auch im Sommer wird hier nicht der Bär steppen, weil einschlägige Lokale einfach nicht zu finden sind. Sant Elm ist halt der ruhige Winkel eines Eilands, das ganz früher bekanntlich in seiner Gesamtheit als „Insel der Stille” gerühmt worden war.