Es ist die zügellose Leidenschaft, die Jorge Argüello antreibt. Um Besuchern den Felsen vor Mallorca zu zeigen, der ihn seit Jahren voll und ganz in seinen Bann zieht, ist der Archäologe sogar bereit, zu rudern. Beim MM-Besuch versagt zwar der Motor an dem Bötchen, doch das ist Argüello egal. Er will den Menschen, die sich für die Vergangenheit des schattenlosen und zerklüfteten Galera-Eilands in Schwimmweite vom blütenweißen Purobeach-Club in Cala Estancia interessieren, unbedingt erklären, was hier vor Urzeiten passiert ist. Und so rudert er nach Leibeskräften, während die Wellen fast in die Nussschale schwappen.
Nach zwei Hin- und Rückfahrten zu dem Beach-Club, der die Ausgrabungen auf dem Felsen großzügig mit 16.000 Euro pro Jahr mitfinanziert, kann Jorge Argüello endlich erzählen: „Das muss hier ein heiliger Ort gewesen sein”, stößt er fast ehrerbietig hervor, gestikuliert wild und schaut zwischendurch fast entrückt in den grellblauen Himmel. Wie sonst sei zu erklären, dass ein eigentlich nutzloser Felsen über Hunderte von Jahren von Angehörigen verschiedener Völker so intensiv bebaut wurde? „Sogar drei mit Kanälen verbundene Wasserzisternen gab es”, so der Wissenschaftler, während im Minutentakt startende Flugzeuge über den Himmel röhren. Er zeigt auf die metertief in die Oberfläche getriebenen Löcher.
Gespannt wie ein Flitzebogen kommuniziert Argüello den Ausflugsteilnehmern seine Sicht der Dinge - so wie jeden Donnerstag, dem großen Tourtag (Anmeldungen unter Tel. 971-744744). Bis Oktober sollen diese Gratis-Touren über die Bühne gehen, danach soll in Palmas Stadtpalast Casal Balaguer eine Ausstellung mit den wichtigsten Fundstücken - darunter Münzen und bemalte Vasen - eingerichtet werden.
Bei seinen Erklärungen steuert der Archäologe nach etwa einer halben Stunde dem ersten Höhepunkt entgegen, während ihm seine Zuhörer, die den Felsen sogar teils schwimmend erreicht haben, nickend ihre Solidarität bekunden. Dem Forscher scheint es egal zu sein, dass ihm die Sonne fast die Schirmmütze verbrennt, er lebt für diesen Ort: Vor Urzeiten - die ältesten Ruinenreste sind 4500 Jahre alt - habe auf Sa Galera ein bestimmt fünf Meter hohes rechteckiges Gebäude gestanden - eine schon aus großer Ferne sichtbare markante Konstruktion.
Jorge Argüello verfällt nach dieser Aussage in augenscheinlich wohlkalkuliertes Schweigen, um die Bedeutung zu unterstreichen. Dann sagt er: „Das konnten wir uns ausrechnen, weil die Menschen hier dafür Blöcke direkt aus einem Steinbruch am Südende von Sa Galera gehauen hatten.”
Fünf Meter! Und das, obwohl in jener Zeit kaum jemand auf Mallorca an der Küste wohnte. „Die Menschen hatten damals hier ihre Häuser im Tiefland von Sant Jordi”, so der Archäologe. Dort, wo sich heute der Flughafen von Mallorca befindet.
Seit 2012 ist der Archäologe auf diesem Eiland zugange, das nicht der Stadt, sondern dem spanischen Staat gehört – was die Finanzierung seinen Angaben zufolge noch komplizierter macht. Aber egal: Sa Galera hat Jorge Argüello seelisch nach und nach erobert, er trommelte mit der Zeit geschickt aus unterschiedlichen Quellen genügend Geld zusammen, um weitere Ausgrabungen möglich zu machen.
Zu verdenken ist ihm seine Leidenschaft nicht: Menschen aus vortalaiotischer Zeit waren hier, später Angehörige des rätselhaften Volkes der Phönizier, dann nach der Eroberung 123 vor Christus die Römer. Sie alle hinterließen Scherben und Steine und Mauerreste.
Und dann fand Argüello etwas, das selbst er vorher nicht für möglich gehalten hatte. Er rollt apokalyptisch mit den Augen, während die Sonne den Ausflüglern immer neue Schweißperlen auf die Stirn zaubert. „Wir entdeckten Skelette von Menschen, die durch Gewalt ums Leben gekommen sein müssen.” Zu Zeiten von Christi Geburt müsse sich hier dieses hässliche Vorkommnis ereignet haben. Selbst Babys waren wohl betroffen.
Derzeit liegen in einem Labor in Großbritannien noch DNA-Analysen, die Licht ins Dunkel bringen sollen. Handelte es sich um Mitglieder einer Familie oder nicht? Fragen über Fragen.
Immerhin waren zwei Skelette so gut erhalten, dass ihr Aussehen rekonstruiert werden kann. Büsten dieser Menschen sollen das Highlight bei der künftigen Ausstellung im Casal Balaguer sein.