Am 6.Oktober wird er biblische neunzig Jahre alt: Leopold Hager, Urgestein und immer noch funkelnder Stern am Dirigentenhimmel, lebende Legende und „Architekt der Wiener Klassik«, wie man ihn oft genannt hat. Vor zwei Jahren, nach seinem denkwürdigen Konzert im Auditorium, hat er mir gesagt, er würde sehr gern das Eröffnungskonzert des neuen Konzertsaals dirigieren. Daraus ist bis heute nichts geworden, die Bauarbeiten an der Caixa de la musica wurden auf unbestimmte Zeit abgebrochen. Nun beschert er uns am kommenden Donnerstag das Highlight des diesjährigen Festival de Bellver mit Haydn und Beethoven. Leopold Hager ist ein Dirigent, der nicht durch Lautstärke, sondern durch Klarheit und Tiefe beeindruckt. Er hat die Wiener Klassik nicht neu erfunden, sondern neu hörbar gemacht – mit einem Dirigat, das die Musik atmen lässt und den Zuhörer zum Mitdenker macht. In einer Zeit, in der das Spektakel oft die Substanz verdrängt, steht Hager für eine Haltung, die Musik als geistige Architektur versteht – gebaut aus Klang, Gefühl und Form. Ein Titan der Stille, dessen Vermächtnis in jedem Takt weiterlebt. –
In Haydns Kosmos, wo große Namen wie „Die Uhr«, „Die Militär-Sinfonie« oder „Die Londoner« glänzen, steht seine Sinfonie Nr. 102 in B-Dur (Hob. I:102) oft im Hintergrund. Und doch ist sie ein Werk von seltener Geschlossenheit, kompositorischer Raffinesse und emotionaler Tiefe – ein musikalisches Juwel, das seine Wirkung nicht durch laute Gesten, sondern durch innere Größe entfaltet. Haydn schrieb die Sinfonie im Sommer 1794 während seiner zweiten London-Reise. Sie gehört zu den letzten sechs sogenannten Londoner Sinfonien (Nr. 99–104), die er für die Konzertreihe von Johann Peter Salomon komponierte. Die Uraufführung fand am 2. Februar 1795 im King's Theatre statt – und wurde durch ein kurioses Ereignis berühmt: Ein Kronleuchter stürzte während des Konzerts von der Decke. Glücklicherweise war das Publikum gerade zur Bühne geströmt, um Haydn besser sehen zu können – niemand wurde verletzt. Dieses „Wunder« wurde lange Zeit fälschlich der Sinfonie Nr. 96 zugeschrieben. Die ganze Geschichte können Sie sich hier anhören. Haydns Sinfonie Nr. 102 ist ein Werk, das zwischen Licht und Struktur balanciert. Sie ist kein lauter Held, sondern ein Architekt der Empfindung. Wer sie hört, entdeckt nicht nur Haydns Genie, sondern auch die leise Revolution, die in seinen späten Sinfonien steckt – eine Musik, die nicht nur unterhält, sondern bereichert.
Zwischen Licht und Struktur: Beethovens vierte Sinfonie als poetische Architektur. - Inmitten der monumentalen Klanggebirge der „Eroica« und der dramatischen Fünften erhebt sich Ludwig van Beethovens Vierte Sinfonie in B-Dur, Op. 60 wie ein eleganter Tempel aus Marmor – weniger ein Donnerschlag als ein Sonnenaufgang. Robert Schumann nannte sie eine „schlanke griechische Jungfrau zwischen zwei nordischen Riesen« – ein Bild, das ihre Anmut beschreibt, aber ihre innere Kraft unterschätzt. Beethoven komponierte die Vierte im Sommer und Herbst 1806, in einer Phase relativer Ruhe. Die Vierte ist kein Werk der äußeren Dramatik, sondern der inneren Balance. Sie zeigt Beethoven als Architekten der Empfindung, der mit wenigen Tönen ganze Räume erschafft. Ihre harmonischen Übergänge sind subtil, ihre rhythmischen Motive raffiniert verwoben – ein Tanz zwischen Struktur und Gefühl. Während die Dritte und Fünfte mit Pathos und Kraft auftreten, spricht die Vierte in Andeutungen und Lächeln. Sie ist ein Werk, das nicht schreit, sondern flüstert – und gerade darin liegt ihre Größe. – Im Podcast „Das starke Stück« zu Beethovens Vierter kommen unter anderen Carl Maria von Weber und Roger Norrington zu Wort. Und wenn Sie noch eine Viertelstunde Zeit erübrigen können, bekommen Sie im WDR3-Podcast weitere Informationen zum Werk.