Beide Werke des 3.Bellverkonzerts am gestrigen Donnerstag stehen im Schatten ihrer berühmteren und häufiger aufgeführten Geschwister: Haydns Sinfonie Nr.102 führt ein Stiefkind-Dasein zwischen der „Uhr« und der«Sinfonie mit dem Paukenwirbel, Beethovens Vierte fällt im Ranking der Aufführungszahlen weit hinter ihre beiden Nachbarn „Eroica« und „Schicksalssinfonie« zurück. Es scheint in der Natur des Publikums zu liegen, Werke mit einem griffigen Beinamen höher zu bewerten als solche, die sich nicht damit schmücken können. Das wussten natürlich auch die Verleger, von denen die Namen meist (im Hinblick auf die Verkaufszahlen) in die Welt gesetzt wurden. Dirigenten vom Rang eines Leopold Hager fallen natürlich nicht auf derart naive Klassifizierungen herein und rücken vermeintliche Schattenwerke in ihren Konzerten ins rechte Licht, in das Licht, das ihnen aus der Partitur entgegenstrahlt.
Die Haydn-Sinfonie erglänzte unter Hagers Dirigat in ihrer ganzen orchestralen Pracht und erhielt bei aller Eleganz seines Musizierens die sinfonische Größe, durch die sich Haydns Spätwerk auszeichnet. Man staunte einmal mehr über den musikalischen Reichtum, den Haydn in die im 20.Jahrhundert oft als „old school« abqualifizierte Sonatenform zu packen verstand: mit unversiegbarer Erfindungsgabe – melodisch, harmonisch, rhythmisch – schuf er auf der Grundlage des an sich simplen Exposition-Durchführung-Reprise-Schemas ein Meisterwerk von zeitloser Größe. Hager nahm uns mit auf eine Reise voller Überraschungen, Aha-Momente, instrumentatorischer Raffinessen im oft schalkhaften Licht Haydn’schen Humors. Viele Details glaubte man zum ersten Mal zu hören, unvergesslich das kleine feine Crescendo im Paukenwirbel zu Beginn der Reprise im ersten Satz. Das Menuett geriet zu einem berückenden Ohrwurm, den man mit nach Hause nehmen konnte. Das Presto-Finale hat Leonard Bernstein einmal in einem seiner famosen „Young People’s Concerts« mit einem kleinen munteren Dackel verglichen, der über eine Wiese tobt. Hager ließ ihn neckisch durch die blühende Landschaft seiner Musik tollen. –
Beethovens Vierte konnte man als „work in progress« erleben. Man wohnte quasi der Entstehung dieser großen Sinfonie bei, vom verhaltenen Beginn und den Ausbruch des des Hauptthemas, über den kantablen zweiten Satz und das vorwärtsdrängende Menuett (das eigentlich eher ein Scherzo ist) bis hin zum turbulenten Finale – nichts erstarrte bei all der jahrzehntelangen Dirigiererfahrung, die aus jedem Takt sprach, zur Routine, alles klang frisch, als sei die Tinte in der Partitur noch nicht trocken. Die Begeisterungsfähigkeit des knapp Neunzigjährigen riss das Publikum in einen Strudel temperamentvoller Musizierfreude. Entsprechend war der Applaus, der natürlich auch dem engagiert aufspielenden Orchester galt. Bitte, Maestro, kommen Sie bald wieder! – Das letzte der in diesem Jahr leider nur vier Konzerte findet am 17.Juli statt und ist bereits ausverkauft. Nach der „Figaro«-Ouvertüre wird Joan Enric Lluna unter der Leitung von Pablo Mielgo Mozarts Klarinettenkonzert spielen, den Schlusspunkt des Konzerts und damit des Festivals setzt Tschaikowskys 5.Sinfonie.