Gerade an den Freitagen, dem wöchentlichen Markttag, bietet Son Servera einen beschaulichen Anblick. Aus den nahe gelegenen Touristenorten Cala Millor und Cala Bona strömen Urlauber herbei, streifen durch die Gassen mit den Marktständen, füllen die Plätze der Cafés und Bars auf dem zentralen Kirchplatz wie etwa dem S'Oratge. Mediterranes Flair. Das Leben auf Mallorca kann so angenehm sein.
Kaum vorstellbar, dass just auf jenem Platz vor fast auf den Tag genau 75 Jahren eine Siegesparade gefeiert wurde, mit Soldaten und Parteimitgliedern der rechtsextremen Falange, allesamt in Uniform und berauscht von dem Erfolg, die "kommunistischen Invasoren", die Truppen der "Rotspanier", in die Flucht geschlagen zu haben. In der Nacht vom 3. auf den 4. September 1936 hatte das republikanische Expeditionsheer unter der Führung seines Kommandanten Albert Bayo die Insel geräumt. Völlig unbemerkt von der gegnerischen Seite bestiegen in nur wenigen Stunden mehr als 3000 Mann die Kriegsschiffe und entschwanden den balearischen Gewässern. Damit endeten 20 Tage Krieg und Gefechte auf der Insel, die mit der Invasion am 16. August begonnen hatten und ein Heer an Toten - Gefallenen wie Hingerichteten - hinterließen.
Eine genaue Zahl der Opfer gibt es nicht, Historikern siedeln sie jedoch im vierstelligen Bereich an. 20 Tage hatte das Dorf Son Servera, in dem vor dem Krieg 900 Einwohner gelebt hatten, nahezu täglich unter Beschuss gelegen, während in den umliegenden Bergen regelrechte Gemetzel stattfanden. "Son Servera gleicht dem Krater eines ausgebrochenen Vulkans", befand ein Augenzeuge beim Anblick explodierender Granaten und Bomben, die von Schiffsgeschützen und an Land geschaffter Artillerie abgefeuert oder aus Flugzeugen über dem Ort abgeworfen wurden.
Anders als im Nachbarort Son Carrió hatte das Unheil in Son Servera bereits am ersten Invasionstag seinen Lauf genommen. In dem Tal zwischen den Hügeln Na Penyal und Sa Bassa war eine Marine-Einheit von Bayo in Anmarsch. Die rund 50 Männer der "Schwarzen Garde" zeichneten sich mehr durch Mut als durch Kampfkraft aus. Ibiza hatte die Gruppe im Handstreich genommen. Auch die Eroberung von Son Servera würde, so glaubten die Seeleute, zu einem Spaziergang werden.
Weder vertraut mit dem Gelände noch mit den Techniken zur Kriegsführung an Land, liefen die Männer unbedacht in einen Hinterhalt, den ihnen die Verteidiger, Soldaten und Zivilgardisten, unweit der damaligen Bahnlinie bereitet hatten (jener Bahnlinie, die derzeit an gleicher Stelle wieder neu errichtet werden soll, falls es dafür Geld gibt). Im Versteck lauernd, ließen die Soldaten die rund 50Mann bis auf fünf Schritte herankommen. Dann schossen sie alle auf ein Kommando. Im Kugelhagel waren die meisten Seeleute sofort tot. Vier Überlebende wurden noch nach Son Servera gebracht und dort erschossen.
Einer von ihnen, der 18 Jahre alte Domingo López aus Barcelona, überlebte auch das. Er war in Ohnmacht gefallen, erhielt einen Gnadenschuss, der ihn an Hals und Gesicht nur verletzte, und wurde mit den Toten in eine Grube geworfen. Aus dieser konnte er sich nachts wieder aufrappeln und mühsam durch die Kiefernwälder zu seinem Kommando nach Sa Coma schleppen. Wie kaum ein anderer hat der junge Jaume Miró, Jahrgang 1977, die Geschichte seines Dorfes während des blutigen Sommers von 1936 erforscht. Der Philosophielehrer und Bühnenautor befragte Zeitzeugen und durchstöberte Archivmaterial. Bei den zeithistorischen Forschungstagen stellte er jüngst seine Ergebnisse vor.
Wer in jenen Kriegstagen von der Zivilbevölkerung dazu in der Lagewar, flüchte aus Son Servera. Parallel dazu bezogen Einheiten des aufständischen Militärs Stellung in dem Ort. Sie brachen, auf der Suche nach Unterkunft und Lebensmitteln, in die Häuser ein. Das Tiefgeschoss des heutigen Cafés S'Oratge war Hauptquartier und Luftschutzkeller der rechten Verteidiger zugleich. Unterdessen rückten die Invasoren auf die Berge rund um Son Servera vor und nahmen die Gipfel. Nahezu täglich kam es dort zu Scharmützeln, Geländegewinnen und -verlusten. Direkt am Dorfrand wogen die Kämpfe zwischen Kiefern und Felsbrocken hin und her. Die verfeindeten Einheiten standen sich in Rufweite gegenüber.
Die Rotspanier spielten auf Verbrüderung, umwarben die einfachen Dienstgrade der Gegenseite: „Soldaten wollen wir keinen einzigen töten. Aber die Offiziere, die Offiziere gebt heraus!" Den Invasoren gelang, ungeachtet einer falschen Siegesmeldung vom 26. August, zu keinem Zeitpunkt die Einnahme von Son Servera. Dafür hatten sie jedoch die Berge fast permanent unter ihrer Kontrolle. Erst am 3. September konnten die „Nationalen" einen Teil des Berges von Son Corb erobern. Noch immer finden Wanderer hin und wieder Munition im Gelände. Son Servera war mit Granatenhülsen regelrecht übersät. „In vielen Haushalten waren die schweren Metallhülsen zu finden", so Jaume Miró. Sie dienten als Türstopper oder als Blumentopf. Die Franquisten stilisierten Son Servera später zum unbesiegbaren Dorf. Die Nomenklatura kam zur Visite und entdeckte dabei die privilegierte Lage. An der Costa de los Pinos ließ sie sich dann Sommervillen errichten ...