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Ein Geschenk für Himmler

Judenverfolgung: Der Arm der Nazis reichte bis nach Mallorca

Das Konzentrationslager Auschwitz, Symbol des Holocaust schlechthin, wurde am 27. Januar 1945 befreit. | Foto: Archiv Ultima Hora

| Mallorca |

Was haben ein traditionelles Natursteinhaus im mallorquinischen Bergdorf Esporles und das berüchtigte Torgebäude von Auschwitz miteinander gemein? Nichts. Und dennoch gibt es eine unsichtbare Verbindung, die sich wie ein unscheinbarer Faden durch die Jahrzehnte zieht. Denn in jenem Steinhaus im heutigen Carrer Nou de Sant Pere, nur einen Steinwurf von der wuchtigen Kirche und dem Rathaus entfernt, lebten zwei Männer, deutsche Juden, die sich im Jahre 1940 von der Auslieferung an Nazi-Deutschland bedroht sahen.

Hans Mayer-Classen und Leo Frischer waren aus Hitlers Reich geflohen, weil sie dort für sich keine Zukunft mehr gesehen hatten. Wie auch immer sie nach Mallorca gelangten, hier, scheint es, wollten sie sich eine neue Existenz aufbauen. In Esporles eröffnete Frischer ein Fotogeschäft. Doch die vermeintliche Sicherheit weit weg von den braunen Horden war eine trügerische. Während Hitlers Panzer im Sommer 1940 Frankreich unter die Ketten nahmen, wurden die beiden Juden aufgefordert, Spanien zu verlassen.

Es ist der Arbeit des Vereins Memòria de Mallorca zu verdanken, dass nach mehr als 60 Jahren erstmals wieder die Namen Hans Mayer-Classen und Leo Frischer den Weg ins Bewusstsein der Öffentlichkeit finden. Der Erinnerungsverein in Esporles versucht die Verbrechen der Franco-Diktatur auf lokaler Ebene aufzuarbeiten und das Schicksal von mehr als 23 im Spanischen Bürgerkrieg ermordeten Dorfbewohnern zu dokumentieren. Es handelt sich um die Großvater, Väter heutiger Dorfbewohner, die damals von den Franquisten bei Nacht-und Nebel-Aktionen erschossen und in namenlosen Massengräbern verscharrt wurden.

Guillem Mir, einer der Initiatoren der Memòria-Bewegung in Esporles, hat auf diese Weise seinen Großvater mütterlicherseits verloren. Juan Cañellas war Maurer und Vorsitzender der lokalen Baugewerkschaft gewesen. Er hatte in den Jahren vor dem Krieg das Arbeiter-Bildungs- und Kulturzentrum "Casa del Pueblo" sowie die laizistische Schule miterrichtet, die heute das Mittelmeer-Forschungsinstitut Imedea beheimatet. Cañellas wurde im November 1936 von Franquisten festgenommen und in Palma im Can Mir eingesperrt. Der ehemalige Holz- und Baustoffhandel, wo sich heute das Kino Sala Augusta, direkt neben dem Bahnhof der Sóller-Bahn, befindet, diente seinerzeit den Machthabern als Gefangenenlager. In der völlig überbelegten und ungeheizten Halle war Juan Cañellas bis 15. Januar gefangen. Dann erfolgte den Papieren zufolge seine "Freilassung". Dieser Vorgang löste damals bei vielen Betroffenen und ihren Angehörigen blanke Furcht aus, deren Widerhall bis in die Generationen der Nachkommen zu spüren ist. Die sogenannten Freigelassenen wurden zumeist nachts per Lastwagen stadtauswärts oder gar bis nach Porreres befördert und dort im ersten Morgengrauen von rechtsextremen Falangisten an Friedhofsmauern mit Gewehrsalven hingerichtet. Die Einschusslöcher im Gestein sind zum Teil heute noch sichtbar.

Bei der Suche nach Hinweisen auf seinen Großvater und die übrigen Männer aus Esporles stießen Guillem Mir und Mitstreiter Tomeu Garau 2014 in Archiven des Rathauses zufällig auch auf Dokumente zu den beiden Deutschen. "Deutsche in Esporles, zu jener Zeit", staunte Mir. "Das müssen die ersten Deutschen gewesen sein, die sich hier niedergelassen hatten", glaubt er. Doch dann erreichte die beiden "jüdischen deutschen Staatsangehörigen", so war von ihnen in den Dokumenten aus dem Rathaus die Rede, die Anweisung, sich bereitzuhalten, um ausgewiesen zu werden. Wenige Tage später, das weiß Mir von Zeitzeugen, war das Fotogeschäft verschlossen, das Schaufenster leergeräumt. Die Deutschen waren verschwunden, ihr weiteres Schicksal nicht eindeutig geklärt. (Es gelang zumindest Hans Mayer-Classen, in die USA auszuwandern.)

Fakt ist, dass Hans Mayer-Classen und Leo Frischer nicht die einzigen Deutschen waren, die im Juni 1940 zum Verlassen des Landes aufgefordert wurden. Und wer damals kein Visum für ein sicheres Drittland besaß, wurde direkt an die deutschen Behörden überstellt. Was das für jüdische Deutsche bedeutete, lag auf der Hand: Seit dem November-Pogrom 1938 waren sie ihrer Rechte als Staatsbürger vollends beraubt worden. Hinter dem verdüsterten Horizont der Zukunft drohte bereits der Holocaust, auch wenn zu jenem Zeitpunkt die industriell organisierte Massentötung von Menschen in Todeslagern noch nicht begonnen hatte.

Bekannt ist neben den beiden Deutschen aus Esporles der ebenso von MM dokumentierte Fall der Eheleute Ernst und Irene Heinemann in Palma. Das Paar im Rentenalter hatte im Sommer 1940 ebenfalls die baldige Ausweisung angezeigt bekommen und sich - ohne jede Aussicht auf rettende Visa - mit Schlaftabletten das Leben genommen.

Der geradezu mörderische Druck, der zeitgleich auf die beiden Deutschen in Esporles wie auch das Ehepaar Heinemann ausgeübt wurde, ging von spanischen Behörden aus. In den Amtsschreiben mit der kühl-distanzierten Bürokratensprache wird die Generaldirektion für Sicherheit genannt, eine Behörde in Madrid, der in jener Zeit José Finat y Escrivá, Graf von Mayalde, vorsteht. Er ist ein Bewunderer des Reichsführers-SS und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, den er im Oktober 1940 zu einer offiziellen Spanienreise einlädt. Der sinistre SS-Führer vereinbart als oberster Polizeichef mit seinem spanischen Kollegen eine noch engere Zusammenarbeit. So erhalten deutsche Polizeiangehörige den diplomatischen Status, um die rund 30.000 Deutschen in Spanien ungehindert observieren zu können und jene dem Nazi-Regime unliebsamen Elemente verhaften und ausweisen zu lassen. Der Arm der Gestapo reichte damals somit über das deutsche Einflussgebiet hinaus bis nach Spanien und Mallorca.

Wie die spanische Tageszeitung "El País" 2010 unter Berufung auf den Historiker Jacobo Israel Garzón berichtet, ist es der Sicherheitschef José Finat, der im Mai 1941 die Anweisung gibt, Listen mit jüdischen Spaniern anlegen zu lassen. Die Behördenmitarbeiter, zum Teil handverlesene Antisemiten, listeten im sogenannten "Archivo Judaico" bis zu 6000 Menschen auf. Finat, der Mitte 1941 zum spanischen Botschafter in Berlin ernannt wurde, soll diese Liste auch Himmler übergeben haben, quasi als Antrittsgeschenk. Angeblich floss die Zahl der spanischen Juden auch ein in das Datenmaterial für die Wannsee-Konferenz, auf der Nazi-Technokraten, Ministerielle und der Leiter des Reichssicherheitshauptamts, Reinhard Heydrich, im Januar 1942 die sogenannte Endlösung, sprich die massenhafte Deportation und Ermordung der europäischen Juden in den Konzentrationslagern in Osteuropa beschlossen. Historiker schließen nicht aus: Hätte General Franco entschieden, an der Seite Deutschlands in den Zweiten Weltkrieg einzutreten, dann wären mit ziemlicher Sicherheit auch spanische Juden - oder wen immer man dafür hielt - per Zug in die Vernichtungslager nach Osten verfrachtet worden.

Auf Mallorca ging in jenen finsteren Zeiten große Furcht um: Seit den Tagen der Inquisition sind die Namen jener jüdischen Familien bekannt, die im ausgehenden Mittelalter zum Katholizismus übertraten beziehungsweise zwangskonvertiert wurden. Den Nachkommen der "Xuetas" wurde in den folgenden Jahrhunderten immer wieder vorgeworfen, heimlich dem alten jüdischen Glauben anzuhängen. Wie der mallorquinische Forscher Albert Bonnín Fiol schreibt, wurden auf Mallorca Listen mit den Nachkommen der jüdischen Xuetas angefordert. Zumindest sei bei Mallorcas damaligem Bischof Josep Miralles interveniert worden, um Angaben über die Zusammensetzung der Inselbevölkerung zu erhalten. Miralles widersetzte sich jedoch dem Ansinnen. Für ihn waren die Nachkommen der Xuetas allesamt Katholiken, die nach drei bis vier Jahrhunderten Konversion zum Teil frommer und kirchenkonformer auftraten als die Nachkommen von Altchristen.

So soll Miralles auf entsprechende Avancen geantwortet haben, der Anteil der Nachkommen der ehemaligen Juden sei auf Mallorca so enorm hoch, dass er weite Teile der Bevölkerung umfasse. Offenbar veranlasste diese Aussage, dass die Hintermänner von einer wie auch immer angedachten Verfolgung dieser Menschen zunächst Abstand nahmen und das Vorhaben letztlich nie verwirklicht wurde.

Der Sachverhalt gibt Rätsel auf: Gab es diese Planungen auf Mallorca tatsächlich, oder handelte es sich nur um Gerüchte? Das Geheimarchiv des Bistums ist bis heute unzugänglich, sagt Historiker Bonnín. Ob es zwischen der angeblichen Liste der Xuetas auf Mallorca und dem Archivo Judaico José Finats Berührungspunkte gibt, sei nicht belegt.

Wie "El País" berichtet, wurden die Listen des spanischen Sicherheitsamtes vernichtet, als sich die Niederlage Deutschlands abzeichnete. Franco-Spanien wollte nicht in den Ruch geraten, an der Vernichtung des europäischen Judentums zumindest ideell mitgewirkt zu haben. Fast alle Akten wurden heimlich beseitigt. Per Zufall blieb lediglich eine Abschrift der Anweisung José Finats erhalten. Ein Papier, das die Grundlage für einen Beitrag Spaniens zum Holocaust legen sollte.

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