Eine ansteckende Ruhe geht von den vier Mönchen aus, die tief versunken ins Gebet in einer kleinen Kapelle oberhalb von Valldemossa Psalme sprechen und singen. Sie tragen lange Bärte und dunkelbraune Kutten. Die Mönche gehören einem besonderen Orden an. Es sind Einsiedler. Sie folgen der strengen Lebensform der "Wüstenväter". So werden die ersten Eremiten des Christentums, Paulus von Theben und Antonius Abbad, genannt. Sie sollen sich im dritten Jahrhundert auf der Suche nach Einsamkeit in Askese und Gebet in die Wüste zurückgezogen haben. "Die vier Mönche in Valldemossa sind die letzten Einsiedler Mallorcas und weltweit die einzigen Eremiten, die noch nach den strikten Regeln der ,Wüstenväter' leben", sagt Felio Bauzá, der gerade ein Buch über die Geschichte der Eremiten auf Mallorca veröffentlicht hat (siehe folgende Seite).
Die Eremitage der Heiligsten Dreifaltigkeit (Ermita de la Santíssima Trinitat) liegt in einem Stein-eichenwald drei Kilometer von Valldemossa entfernt. In eine Wand gemeißelt steht dort: "Das Fundament des Einsiedlerlebens sind Buße und Gebet, seine Verzierung ist das Schweigen, sein Schutz die Abgeschiedenheit und sein Ziel die Einheit mit Gott."
Jeden Morgen um sechs Uhr beginnen 18 Stunden Gebet für die Mönche, denn sie beten nicht nur in der Kapelle, sondern bei allem, was sie tun, bei der Garten- und Hausarbeit und sogar, wenn sie die heiligen Mauern verlassen. Das passiert jeden Sonntagmorgen. "Psalmen zitierend fahren sie dann mit ihrem alten Renault 4 den Berg hinunter zur Neun- Uhr-Messe in der Kartause von Valldemossa", erzählt Bauzá. Ansonsten verlassen sie die Einsiedelei nur, um zum Arzt zu gehen - ein kleines Zugeständnis an die moderne Zeit. Freizeit gibt es nicht. Fleisch und Wein sind tabu. Die Ernährung basiert auf Gemüse aus eigenem Anbau. Brot wird erst neuerdings gekauft. "Die Kutten schneidern sie selber. Bis vor Kurzem haben sie auch ihre Sandalen selber angefertigt", sagt Bauzá. Tagsüber gilt das Stillegebot. Erst am späten Abend dürfen sich die Mönche unterhalten. "Doch sie sprechen kaum. Sie sind es nicht gewohnt."
Die Kongregation der Einsiedler von Sankt Paul und Sankt Antonius (Congregació d'Ermitans de Sant Pau i Sant Antoni) wurde im 17. Jahrhundert gegründet. Als Vater der Eremiten auf Mallorca gilt jedoch Ramon Llull (1232-1316). Der mallorquinische Theologe und Philosoph zog sich am Berg Randa zum Meditieren und Beten in eine Höhle zurück. "In der Einsamkeit und Stille sah Llull die Vollendung des religiösen Lebens", erzählt Bauzà. Später suchte Llull auch unweit der heutigen Ermita de la Santíssima Trinitat eine Höhle auf, denn im Kloster Miramar, das in der Nähe liegt, errichtete er eine Missionarsschule. In der Folge nahmen viele weitere Männer und auch Frauen das Einsiedlerleben in Höhlen an. Eine einheitliche Struktur und Regeln bekamen sie jedoch erst viel später.
1624 wurde in Alaró der Junge Juan Mir geboren. Schon mit 15 Jahren entschloss er sich, Einsiedler zu werden. Als er 19 Jahre alt war, besuchten ihn französische Mönche des eremitischen Paulinerordens. Fasziniert von dieser Lehre, nahm Juan Mir einiges davon an. Bald darauf verließ er Alaró und zog in den einsameren Wald um Miramar. Dort baute er eine kleine Eremitage mit Zisterne und Schlafzelle, die heute zur Ermita de la Santíssima Trinitat gehört, und mithilfe eines Kartäuserpaters - er selber konnte nicht schreiben - verfasste er die Regeln des eremitischen Lebens nach Sankt Paul und Sankt Antonius. Die neue Kongregation mit Juan Mir als Superior wuchs rasch und viele Eremitagen entstanden. Die Einsiedelei von Betlem bei Artà, die der Orden 1805 baute, gilt als eine der schönsten der Insel.
Neben Sant Pau i Sant Antoni gab es weitere kleinere Einsiedlerorden auf Mallorca, etwa die Karmeliten und die Franziskaner, sowie unabhängige Einsiedler. Der Mercat de l'Olivar zum Beispiel, Palmas größte Markthalle, geht auf eremitisch lebende Nonnen zurück, die gezwungen wurden, ihre gleichnamige Eremitage in Esporles zu verlassen und nach Palma zu ziehen.
"Noch vor 50 Jahren waren auf Mallorca noch 58 Einsiedeleien bewohnt", erzählt Felio Bauzá. 2010 waren es noch zwei. Doch dann schloss die Eremitage von Betlem in Artà und heute leben nur noch in Valldemossa "Wüstenväter". Sie sind zwischen 70 und mehr als 80 Jahre alt. Erst kürzlich ist ein Eremit gestorben. Nachwuchs haben sie nicht: Vor ein paar Jahren habe es einen jungen Aspiranten gegeben. "Doch der hielt die strengen Regeln nicht aus", erzählt Bauzá.
Beim Besuch der Eremitage bleiben viele Fragen offen: Wann haben sich die Männer für dieses Leben entschieden und warum? Wie erleben sie unsere Welt? Gibt es nicht etwas, dass sie uns sagen möchten? Für eine Antwort braucht es aber keine Worte. Wer sich eine Weile in den Mauern aufhält, in denen Menschen seit Jahrhunderten in Stille leben, vielleicht einem Stundengebet beiwohnt, den Blick vom Kloster auf die Küste von Valldemossa genießt, der als der schönste des Mittelmeers gilt, wird es merken: eine tiefe Gelassenheit breitet sich aus. Sie hält noch an, wenn man längst wieder in den touristischen Sommertrubel Mallorcas eingetaucht ist.
(aus MM 34/2016)