Den Werftarbeitern in Palma konnten die Augen übergehen, als die „Pink Gin VI“ aufs Trockendock gehoben wurde. Schlank und äußerst edel sieht sie aus. Mit ihren knapp 54 Metern ist sie die längste einmastige Yacht der Welt mit einem Rumpf aus Kohlenstofffaser. Doch was die Arbeiter dann als Kielbombe zu sehen bekamen, ließ ihnen die Kinnlade herunterfallen.
Kielbombe, so heißt das stromlinienförmige Gewicht am unteren Ende des Kiels. Als aufrichtendes Element wirkt es der Kraft des Windes auf die Takelage entgegen. Und niemand, der es nicht wusste, hätte erwartet, dass der elegante, silbergraue Rumpf der „Pink Gin“ als Bleigewicht einen poppig bemalten Hai mit sich durch die See zog: wild, funky, frech.
Gemalt hat ihn Ann-Kathrin Otto. Dabei hatte die Künstlerin bis vor eineinhalb Jahren nicht die leiseste Ahnung, was eine Kielbombe ist. Wie sollte sie auch. Sie arbeitet als Szenenbildnerin, Story-boardzeichnerin und Bühnenmalerin für Theater-, Film- und Fernsehproduktionen, außerdem als Interior-Designerin. Und seit 14 Jahren moderiert sie in der ZDF-Sendung „Volle Kanne“ das Kreativ-Magazin „Wohnen und Design“.
Mit der Welt der Yachten kam sie durch Hans Georg Näder in Berührung. Der studierte Betriebsökonom führt in dritter Generation das Medizintechnikunternehmen Ottobock. Unter seiner Leitung wurde es auf dem Gebiet der Prothetik zum Weltmarktführer. Als Kunstsammler eröffnete Näder außerdem in seiner Heimatstadt Duderstadt die Kunsthalle HGN, als Sportler gewann er 2007 mit der „Pink Gin VI“ vor Mallorca den New Zealand Millenium Cup und stellte ein Jahr später mit einem Amphibienfahrzeug einen neuen Weltrekord bei der Überquerung des Ärmelkanals auf. Im Rahmen seiner sozialen Engagements eröffnete er 2012 mit seinem Freund Peter Maffay in Duderstadt das Tabalugahaus als Erholungsort für traumatisierte Kinder.
Über Maffay und ihren Ehemann Carl Carlton, der seit 1986 Gitarrist der Peter Maffay Band und des Panikorchesters von Udo Lindenberg ist, lernte Otto den Unternehmer und Mäzen kennen. Seither hat sie zahlreiche Kunst-Projekte mit ihm verwirklicht.
Was sie vor eineinhalb Jahren dachte, als sie die Kielbombe der „Pink Gin“ bemalen sollte, schildert Otto so: „Ich dachte: Hat er Schnaps getrunken? Das ist das Teil am Schiff, das ganz unten im Wasser ist. Und er sagte ganz klar: ,Ja, genau das.‘ Da habe ich kurz überlegt, ein Buch zu machen mit dem Titel ,Die schönste Malerei an den spektakulärsten Orten der Welt, die kein Mensch sieht‘.“ Als die „Pink Gin“ dann 2017 in Finnland zu Wasser gelassen wurde, mit dem poppigen Hai am Kiel, aus dessen Maul eine Cohiba hing, war die gesamte Fachpresse vor Ort.
Inzwischen hatte die Yacht 55.000 Seemeilen hinter sich gelassen. Und Näder wandte sich mit der Bitte an Otto, den Hai zu erneuern. Wie nötig das war, sah sie, als das Boot auf dem Trockendock aufgebockt war. Erstaunlich gut erhalten war er, sah aber aus, als ob er sandgestrahlt worden wäre. „Er kam daher wie ein Punk aus den sieben Weltmeeren“, erzählt die Künstlerin.
Sieben Tage lang arbeitete sie in Palmas Werft, um den Hai wieder fit zu machen. Dass sie dafür knallige Farben wie Gelb, Pink und Türkis bestellte, brachte ihr viel Gelächter ein. „Das ist so, als wäre ein Mercedes 300 SL Kompressor in der besten Lackiererei mit Silberlack besprüht worden, und dann bemalt man ihn mit diesen Farben“, erklärt die Künstlerin den Grund für die Heiterkeit der anderen.
Ihr Projekt sprach sich herum. Wenn manche Menschen bekannt wie ein bunter Hund sind, war Otto in nur wenigen Tagen bekannt wie ein bunter Hai. Wildfremde Arbeiterinnen und Arbeiter, auch Bootsbesitzer sprachen sie an, jeder wollte ein Foto machen.
Doch wozu die ganze, zumal einzigartige Aktion, wenn das Ergebnis doch nur die Fische und vereinzelte Taucher zu sehen bekommen? Jedenfalls nicht dazu, um zu zeigen, was Näder hat. „Es ist eine Kunstaktion und eine Performance, die weiter gedacht und viel smarter ist“, erklärt Otto und erzählt von den überraschten Mienen der Werftarbeiter, als die „Pink Gin“ aus dem Wasser gehoben wurde. „Und darum geht es ihm: Momente zu schaffen, die eben nicht jeder schaffen kann. Wir haben immer gesagt: Wir machen das, weil wir es können.“
Und weil sie es konnten, ist der Hai ein Maskottchen für die Crew geworden, die ihn auf ihren Fahrten unter sich in der Tiefe weiß. „Alle kamen immer zu mir und meinten, dass er einen Namen braucht. Einer meinte Maurizio, der andere Amado, dann kam Mackie Messer ins Spiel“, erzählt Otto und freut sich: „Es ist total schön, dass die Malerei an so einem Objekt plötzlich solche Wellen schlägt.“
Inzwischen ist der Hai mit neuen Farben und Ergänzungen wieder in seinem Element, dem Meer. Auch eine Bierflasche hat er bekommen, die aus der anderen Seite seines Mauls hervorschaut. So nehmen er und sein Schiff Kurs auf die Kanaren und die Kapverdischen Inseln. Irgendwann wird er wieder erneuert werden. Und weil in Palma, so Otto, die „beste Werft in Europa“ ist, heißt es an dieser Stelle: Fortsetzung folgt – auf Mallorca.
(aus MM 49/2018)