Kaum auf Mallorca gelandet, geht das Abenteuer Urlaub schon los: Der Koffer ist verschwunden. Ironischerweise hat sich Autor Nicolas von Lettow-Vorbeck gerade erst für sein neues Buch damit beschäftigt, was auf Reisen alles schiefgehen kann, schon wird er selbst Teil der „Gesamtinszenierung Urlaub”, wie er sie nennt. Der 35-jährige Journalist bleibt locker, hat er sich doch in seinem Werk „Das Krokodil im Flugzeug” gerade mit viel schlimmeren Unfällen im Urlaub beschäftigt. 92 „skurrile Todesfälle auf Reisen” hat der Autor in kompakten Kurzgeschichten niedergeschrieben, gewürzt mit einer Prise Ironie und Tipps, wie man es am besten nicht machen sollte.
Mallorca Magazin: Warum sind wir im Urlaub besonders wagemutig und oft so gar nicht wir selbst?
Nicolas von Lettow-Vorbeck: Die Leute sind plötzlich nicht mehr die langweiligen Bürohengste oder Fabrikarbeiter, sondern Leute, die flirten, trinken und Bungeejumpen. Urlaub verzaubert Menschen so, dass sie sich auch charakterlich verändern und ein anderer werden. Was dann so passiert, ist eine Mischung aus Pech und ein bisschen eigener Blödheit. Ich bin darüber auch nicht erhaben (lacht).
MM: Warum? Ist Ihnen im Urlaub auch schon etwas Schlimmes passiert?
L.-V.: Ja, ich erinnere mich da gut an einen Unfall als Kind – zufälligerweise auf Mallorca. Ich war ja schon ungefähr 15-mal hier. In Alcúdia bin ich mit Flip Flops auf einen Felsvorsprung geklettert, abgerutscht und habe mich so schwer an einer Ader verletzt, dass das Blut nur so in Strömen floss. Oder nichts Schlimmes, aber der Klassiker: Im Urlaub in Tansania habe ich zwei Wochen lang konsequent Flaschenwasser getrunken. Am letzten Tag habe ich wagemutig mit Leitungswasser die Zähne geputzt und hatte danach zwei Tage Durchfall. Ärgerlich.
MM: Haben Sie einen besonderen Hang zum Thema Tod oder wie ist die Idee entstanden?
L.-V.: Nein, eher zum Thema Urlaub und diesen menschlichen Urängsten, die dann oft aktiviert werden. Wir Mitteleuropäer sind ja gar nicht gewöhnt, wilde Tiere um uns zu haben, von denen wir gefressen werden könnten. Beim Besuch exotischer Länder wird das plötzlich realistisch. Das fasziniert mich. Mir war es ein Bedürfnis, die Skurrilität der Fälle hervorzubringen.
MM: Das titelgebende „Krokodil im Flugzeug” – gab es das wirklich?
L.-V.: Ja, in einem Propellerflugzeug im Kongo. Diese Maschinen werden ja für das Gleichgewicht austariert. Einer der Passagiere hatte ein eineinhalb Meter langes Krokodil an Bord geschmuggelt. Als es aus der Tasche kletterte, rannten die Fluggäste panisch vor zum Kapitän und brachten das Flugzeug im Landeanflug zum Absturz. Das Krokodil hat überlebt, gemeinsam mit einem einzigen Augenzeugen, der die Geschichte erzählt hat.
MM: Wie sind Sie auf die Fälle aufmerksam geworden?
L.-V.: Ich habe weltweit Nachrichtenquellen und Polizeiberichte studiert und mich dank Online-Übersetzern sogar auch auf Hindi und Mandarin eingelesen und die Fälle überprüft. Das Schlimme ist, dass die Namen der Opfer in Medienberichten komplett genannt werden und man das Leben des Verstorbenen dank sozialer Netzwerke teils minutiös nachvollziehen kann.
MM: Sind Sie selbst ängstlich?
L.-V.: Meine Frau Mignon und ich sind wahnsinnige Angsthasen und sehr vorsichtig. Entstanden ist die Idee zum Buch auch aufgrund eines gemeinsamen sehr seltsamen Ereignisses. Unsere Hochzeitsreise ging 2017 nach Hawaii, dort haben wir eine „Lava-Boottour” gemacht und hatten beide ein schlechtes Gefühl. Alles ist gut gegangen, aber: Ein Jahr später kam es genau mit diesem Boot bei genau diesem Anbieter zu einem Unfall, bei dem Dutzende Menschen teils schwer verletzt wurden, weil Lava das Boot getroffen hatte.
MM: Welche Geschichte hat Sie am meisten schockiert?
L.-V.: Ich fand das Kapitel „Katastrophale Kost”, also Tod durch Essen, erschreckend. Im Urlaub gehört gutes Essen dazu, viele unterschätzen aber, wie komplex Essenszubereitung ist. In einem der Fälle hatte eine Britin in Griechenland am Hotel-Büfett ein blutiges Stück Hähnchenfleisch gegessen und ist zwei Tage später aufgrund eines gefährlichen E.coli-Bakteriums gestorben. Oder eine Deutsche, die in Indonesien einen Cocktail getrunken hat, der offenbar mit schwarzgebranntem Alkohol gestreckt war. Wenige Tage später starb sie an den Folgen einer Methanolvergiftung.
MM: Wo sehen Sie die größten Gefahrenzonen im Urlaub?
L.-V.: Ich würde schon sagen, dass der Funsport-Bereich sehr gefährlich ist. Aber noch viel schlimmer: Die Sprachbarriere. Da denke ich an die Niederländerin, die in Spanien Bungeejumping an einer Autobahnbrücke ausprobierte und aufgrund der beschränkten Englischkenntnisse des Guides anstatt „no jump” fatalerweise „now jump” verstanden hat, also anstatt nicht springen, jetzt springen [Anm. der Red.]. Ich empfehle hier ein wenig Small Talk vorab.
MM: Haben sich schon Angehörige der Verstorbenen bei Ihnen gemeldet?
L.-V.: Nein, wenn es Beschwerden gäbe, würde ich sagen, ich habe es so sensibel wie möglich versucht, zu beschreiben. Als Journalist sehe ich es so: Man mussunterhalten, aber auch informieren. Und die Geschichten sollen auch einen Abschreckungseffekt haben. Deshalb habe ich jeden genannten Fall mit Hintergrundwissen gewürzt, um meinen Lesern auch was mitzugeben.
MM: Für wen sind Ihre Geschichten geeignet? Braucht man starke Nerven?
L.-V.:Die sind für jeden geeignet, man kann vorne oder hinten beginnen, querlesen, die Kapitel sind nur eine grobe Gliederung. Manche lesen die Geschichten auf dem Klo, wie man mir auf einer Lesung einst sagte. Ich nehme das Buch als Talisman auf Reisen mit und konnte paradoxerweise sogar schon eine aufgeregte Sitznachbarin im Flugzeug mit einer Geschichte daraus beruhigen. Passieren kann überall etwas, das ist keine Ländersache. Ob in Düsseldorf, der Sächsischen Schweiz oder auf Hawaii, wo es große Höhen gibt, wird es immer jemanden geben, der das austesten muss. Bei meinen Recherchen war ich manchmal erstaunt, wie wenig eigentlich trotz der menschlichen Unvernunft passiert. Da glaube ich fast an eine höhere Macht, die sehr viel verhindert.
Mit dem Autor sprach MM-Redakteurin Diana Serbe