Man kann Pere Calafat bei der ersten Kontaktaufnahme am Telefon kaum verstehen. Der Wind auf seinem Acker pfeift in den Hörer. Der Biowinzer aus Santa Maria del Camí sitzt gerade auf seinem Traktor. „Es ist fantastisches Wetter und ich bin draußen in der Natur“, schwärmt er am anderen Ende der Leitung. Ein wenig Neid in Zeiten limitierten Ausgangs macht sich breit.
Seit sieben Jahren werkelt er mit seinem Familienbetrieb „Jaume de Puntiró“, benannt nach seinem Vater, an der perfekten Wermutrezeptur. Im letzten Herbst kam der ersehnte Kräuterwein, 100 Prozent Bio, auf den Markt. Einen Hype hat das Kräutergetränk in den vergangenen Jahren durchlebt – man trinkt einen kühlen Wermut mit ein paar Eiswürfeln, einer Olive auf einem kleinen Holzspießchen und einem Stück Orange gerne vor der Mahlzeit. Auch auf Mallorca boomt dieser Aperitif.
Doch auf der Insel galt bisher: Trinken ja, selbst herstellen eher nein.
Pere hat sich daran gewagt. In seiner „Gama de divertimento“, der sogenannten „Spaßkategorie“, wie er es nennt, geht es ihm vor allem darum, den bitteren Ernst, der Weintrinken noch heute umweht, aufzulockern.
Die Etiketten, die er kreiert, zeugen von dem spielerischen Umgang mit Weinen und Wein-Derivaten. Er und sein älterer Bruder sind dort auf Schwarz-Weiß-Fotografien abgebildet, beim Zuprosten mit großen Sektkelchen an Weihnachten oder beim Fußballspielen auf der Straße in den 1970er Jahren.
Auch Biel Morey, Leiter der Destillerie „Antonio Nadal“ in Marratxí, vertreibt mallorquinischen Wermut. Sein weißer Kräuterwein gewann die Goldmedaille der internationalen Wein-Challenge 2018. Im Sortiment gibt es drei Varianten: Weiß, Rosé und dunkel, alle auf der gleichen Grundkräuterbasis und aus der mallorquinischen Traube Prensal blanc gewonnen. Aber jede Sorte enthält zusätzlich ein gewisses Etwas. Der dunkle Wermut zum Beispiel weist mehr getrocknete Trauben auf.
Der Wermut von „Jaume de Puntiró” schimmert golden. Die Basis ist ein in Stahltanks gelagerter Weißwein. Die Kräuter gewinnt man in dem eigenen Kräutergarten bei Llubí. Salbei, Rosmarin, Orangen- und Zitronenschale, Fenchel und natürlich auch das Kraut der Wermutpflanze, der Artemisia Absinthium, sind einige Gewächse, die im Weinsud landen. In frischem Zustand füllen die Kräuter den Kofferraum eines Mittelklassewagens. Für den Wermut werden sie getrocknet, das intensiviert ihren Geschmack. „Man muss sich das wie einen riesigen Teeaufguss vorstellen“, erklärt der Biowinzer. „Wir hängen einen Sack mit den getrockneten Gewürzen in den Wein und lassen ihn ordentlich ziehen. Partikel, die sich im Laufe der Zeit auf dem Boden absetzen oder an die Oberfläche steigen, fischen wir mit einem Netz heraus“, erzählt er. Nach drei Monaten hat der „Kräuterwein“ genug gezogen. Das ist lang. Bei „Antonio Nadal” ziehen die Weine 20 bis 30 Tage bei Raumtemperatur.
Calafat nimmt es mit seinem ökologischen Siegel ernst. „Öko fängt nicht erst bei den Kräutern an“, sagt er. Der Weinberg muss unter nachhaltigen Kriterien bewirtschaftet werden, das bedeutet Schwefel und Kupfersulfat in gemäßigter Form statt Chemie, und jäten, jäten, jäten gegen das Unkraut. Er hat mit dem sogenannten „Ungeziefer“ einen Freundschaftspakt abgeschlossen: nach dem Motto – jedem Tierchen sein Pläsierchen. Man müsse tolerant miteinander umgehen. Wenn es den Trauben zu sehr schade, greift er zu oben genannten Biomitteln.
Wermut ist süß im Geschmack. Pere Calafat wählt statt Zucker eine Melasse aus Traubenmost aus eigener Produktion. Auch erhitzt wird der Wein nicht. „Das machen viele, weil es den Prozess enorm beschleunigt“, sagt er. Dafür hält er vom Faktor „Zeit und Langsamkeit“ sehr viel. „Man muss mit Geduld und viel Liebe an die Dinge herangehen.“ Auch das Team von „Antonio Nadal” glaubt nicht an die Zuga-be von Zucker. Es verwendet ebenfalls Traubenmost zum Süßen.
Bald ist die Zeit der Kräuterernte bei „Jaume de Puntiró”. Mitte Mai sind Rosmarin, Kamille und Fenchel „reif“. Orangen- und Zitronenschalen sind ebenfalls bereit und kommen direkt in den Sud. Dann ziehen 600 Liter Wein mit frischen Inselkräutern ordentlich durch und landen in 2800 Flaschen Zaubertrank im eigenen Laden und diversen Bars, Restaurants und Geschäften der Insel. Fragt man den passionierten Biowinzer, wonach sein Wermut schmecke, wird er poetisch: „Es ist wie ein Morgenspaziergang in der Sonne, bei dem der Duft von mediterranen Kräutern herüberweht.“
Die Erfolgsgeschichte des Bittergetränkes beruht übrigens auf einem Trick: Als der Italiener Antonio Benedetto Carpano 1786 den Wermut erfand, und dazu vor allem das Wermut-Kraut verwendete, diente der Zusatz von Kräutern ursprünglich dem Übertünchen unangenehmer Aromen billiger Weine, die häufig die Basis des Getränkes waren. Doch mit diesem aromatisierten Fusel haben laut Kennern die meisten Wermut-Marken, die heute verkauft werden, nichts mehr zu tun.
(aus MM 19/2020)