Die Bar von Peguera-Urgestein Erna muss man kennen. Zum einen, weil Erna Hepp eine herzliche Gastgeberin ist und zum anderen, weil man fast nicht zufällig am Vino y Más vorbeilaufen kann. Die einzige Ausnahme bilden da vielleicht die Patienten des deutschen Facharztzentrums, denn das liegt direkt gegenüber von Hepps Kneipe.
Das Wort Kneipe ist für die 69-Jährige keinesfalls eine Abwertung ihres Lokals. „Früher gab es hier jede Menge Kneipen. Ein Ort für die Geselligkeit und gegen den Durst. Meine erste hieß damals: Zum Fäßchen bei Erna. Das war vor 36 Jahren.” Vor 37 Jahren, also 1984 landete die gebürtige Rumänin das erste Mal auf Mallorca. Ihr erstes Inseljahr verbrachte sie hier und da, um sich schließlich in ein damals noch kleines Fischerdorf namens Peguera zu verlieben.
„Ich war eine der ersten deutschen Gastronomen, allerdings war der Ort zu der Zeit schon so ein bisschen ,Little Germany’ auf Mallorca.” Früher verkaufte die Vollblutgastronomin bis zu 300 Essen am Tag. „Ich hab nie verstanden warum, aber Eisbein war damals sogar im Sommer der Renner.” Peguera war auch in den 80er Jahren schon eine ganzjährige Destination für die Deutschen. Im Vergleich zu anderen Urlaubsorten allerdings mit einem etwas älteren Publikum. „Der Ort war damals wie heute die Mittelklasse. Egal ob Alter, Einkommen oder auch das Benehmen der Urlauber. Kein Ballermann, aber auch kein Puerto Portals.” Die Treue der Peguera-Fans und der Residenten hat sich über die Jahrzehnte kaum verändert. Die Gastronomie allerdings schon. Früher gab es vor allem englische, deutsche und spanische Küche. Heute ist das Angebot bunter und teilweise auch hochwertiger geworden. Der wohl größte negative Punkt im Wandel der Gastronomie ist das Wegfallen der Gemeinschaft, bemängelt Hepp. „Ich wohne zwar in Peguera, aber du wirst mich kaum irgendwo in einem Lokal sitzen sehen. Früher waren wir eine eingeschworene Clique, man kannte sich eben. Heute wechseln die Ladenbesitzer so schnell, dass man gar nicht hinterherkommt, die Leute kennenzulernen. Außerdem wird auch viel mehr mit den Ellenbogen gearbeitet.”
Vor allem an Pegueras Boulevard ist die Fluktuation in der Restaurantlandschaft beständig. Nicole Stange und ihr Restaurant Nirad’or ist eine dieser Veränderungen. „Ich bin 2008 nach Mallorca ausgewandert, habe die letzten Jahre in den verschiedensten Gastronomiebetrieben gearbeitet und mir im vergangenen Jahr den Traum vom eigenen Restaurant erfüllt.” Die leidenschaftliche Köchin und ehemalige Küchenchefin vom La Vida in Peguera, hatte am 20. Februar 2020, also drei Wochen vor dem Lockdown, ihren Mietvertrag für das Lokal unterschrieben. „Das Timing war unglücklich, aber das konnte ja alles keiner wissen.” Die 37-Jährige hatte jedoch Glück im Unglück. Ihr Vermieter erließ ihr in der Zeit der Renovierungsarbeiten die komplette Miete und noch bevor sie am 22. Juli 2020 zum ersten Mal aufsperrte, bot er ihr an, von dem Vertrag zurückzutreten. „Das kam für mich nicht in die Tüte”, erinnert sich Stange, „der Laden ist mein Traum und ich dachte mir: Wer etwas wagt, der kann verlieren. Wer nichts wagt, der hat schon verloren.”
Genau wie ihre Kollegin Hepp bemägelt die 37-Jährige die Ellenbogen-Mentalität einiger deutscher Kollegen. Die Köchin aus Leidenschaft hat das Corona-Jahr als eine Art Probelauf gesehen. „Wir haben am Tag vier bis sechs Essen verkauft. Mittlerweile sind wir immerhin bei 20 bis 30 Essen am Tag.” Auch wenn das erste Jahr schwer für die Gastronomin war, bleibt sie positiv. „Wir sind noch da, oder?” Sie hat 2020 kostendeckend überstanden und in dieser Zeit sind vorallem Residenten auf ihr Lokal aufmerksam geworden. Erst vor wenigen Wochen haben die Mieter der beiden Nachbar-Restaurants wieder gewechselt. Mit einem Blick auf die beiden Lokale sagt Stange: „Unsere Stammgäste sind ganz liebe Menschen, ohne die hätten wir es vielleicht nicht geschafft”.
Wie wertvoll Stammgäste für einen Gastronomiebetrieb in Peguera sind, weiß auch Erna Hepp. „Die sind pures Gold, waren sie früher schon, und sind es auch heute noch. Mit denen überlebst du auch die schlimmste Krise. Ich finde Nicole macht das ganz großartig. Sie hat die richtige Mischung aus kreativer Küche, Qualität und moderaten Preisen. Sie ist außerdem das Gesicht des Nirad’or und das macht im Zweifel den Unterschied aus. Kenne deine Kunden, dann erinnern sich deine Gäste auch an dich.” Erna Hepp hatte früher drei Gastronomiebetriebe gleichzeitig. Nachdem sie alle drei Betriebe verkauft hatte, ging sie 2002 von der Insel. „Ich brauchte eine Inselpause.” 2007 kehrte sie allerdings nach Peguera zurück und betreibt seitdem das Vino y Más.
„Ich liebe Peguera. Und klar, nirgendwo ist Stillstand. Veränderung gehört einfach dazu. Beschwerlich ist die Arbeit in der Gastronomie außerdem überall.” Erna Hepp feiert im Dezember ihren 70. Geburtstag und reflektiert: „Wenn ich jetzt der 35-jährigen Erna von damals mit dem Wissen von heute begegnen würde, würde ich ihr raten, einen anderen Beruf zu wählen.”