In einer Jeans und einem neongelben Pullover geht Astrid Prinzessin zu Stolberg-Wernigerode schnellen, doch zugleich sicheren Schrittes vom Puig de Santa Magdalena auf einen benachbarten Berggipfel. Der Schwierigkeitsgrad dieser Wanderung im Beisein von zwei MM-Redakteuren ist auf der 307 Meter hohen Erhebung an diesem Dezembermorgen gering. Doch am Ziel angekommen wird ganz schnell deutlich, dass die Prinzessin eine wahre Inselexpertin ist, die ohne Kompass und Wanderkarte auskommt und deren Ortskenntnisse es durchaus mit einem GPS-Navigationsgerät aufnehmen können:
„Hier oben hat man einen herrlichen Ausblick auf das Kap Formentor, die Bucht von Pollença, die Playa de Muro und Sa Pobla”. Die energische Bewegung ihrer Hände unterstreicht das Gesagte so deutlich, als würde sie durch diese Gestik eine eigene, weitere Sprache sprechen. Auch die Botanik-Kenntnisse von Astrid zu Stolberg verleihen der Wanderung eine besondere Note, sodass eigentlich alle Sinne, selbst der olfaktorische, angesprochen werden. „Dieser typische Mallorca-Geruch, der an Katzen-Pipi erinnert, kommt vom Affodill. Im März riecht die ganze Insel danach. Die Pflanze sieht wie Gras aus und kann sich sogar durch Asphalt bohren.”
Rund 30 Touren mit allen Schwierigkeitsgraden gehören zum Repertoire von Astrid zu Stolberg, aber es sind vorwiegend fünf bis sechs Routen, die sie standardmäßig mit ihren Kunden läuft. „Die schönste Zeit zum Wandern ist der Oktober. Ab Mitte September bis November ist es auch gut, danach regnet es zu viel. Im Sommer, von Juli bis August, ist es zu heiß – auch wenn man dabei drei bis vier Liter Wasser trinkt.” Die 63-Jährige strotzt voller Kreativität und Ideen und die Wanderungen, die sie für Einzelpersonen aber auch feste Gruppen anbietet, sind nur eines ihrer zahlreichen Projekte.
Zu ihren Lieblingsbüchern zählt „Der kleine Prinz” von Antoine de Saint-Exupéry. Und vielleicht ist sie mit ihrer Art das menschliche, reale, weibliche Pendant dieses fiktiven Charakters – denn auch sie scheint sich voller Neugierde stets neuen Ideen zuzuwenden, ist bunt und passt irgendwie in so keine Schublade hinein.
Zu ihrem Namen und dem Prinzessinnen-Titel kam sie durch Heirat, wie sie erklärt: „Ich bin keine Prinzessin, aber ich heiße Prinzessin – das ist ein wesentlicher Unterschied. Am sympathischsten ist es für mich, wenn man mich einfach Astrid nennt”, erklärt sie unprätentiös.
Im Sommer 1995 ist Astrid zu Stolberg mit ihrem Mann, zwei Kindern und ein paar Tieren auf die Insel gezogen. Davon seien jetzt in ihrem Haus in der Gemeinde Binissalem nur noch ein schwarzer Kater und der Ehemann übriggeblieben. Denn mittlerweile sind die beiden erwachsenen Töchter nach Deutschland gezogen und haben dort studiert – die ältere hat bereits drei eigene Kinder. Mit dem Wandern hat Astrid zu Stolberg mit Ende 40 angefangen – aus ganz persönlichen Motiven, um den Kopf freizubekommen. Nach und nach kamen dann die ersten Teilnehmer und damit erregte die wohl prominenteste Wanderführerin der Insel auch ein reges Interesse der deutschsprachigen Medien, die in TV und Magazinen über sie berichteten.
Momentan rücken andere berufliche Aktivitäten in Astrid zu Stolbergs Leben in den Vordergrund. Seit sieben Jahren arbeitet die Prinzessin regelmäßig für drei Wochen auf Kreuzfahrtschiffen – „denn irgendwie muss ich ja auch Geld verdienen”, lacht sie. An Bord hält sie als Lektorin Vorträge über das jeweilige Reiseziel für die Passagiere – seien es nun Palma, Lissabon, die Kanaren, Frankreich, Italien, Korsika, Sardinen oder Malta. Und als zu Beginn der Pandemie auf Mallorca eine Ausgangssperre verhängt wurde und sie vorübergehend nicht auf den Aida-Schiffen arbeiten konnte, kam ihr aus der Not heraus eine neue Idee:
„Aus meinen Vorträgen, die ich hätte an Bord halten sollen, sind dann meine neuen Bücher entstanden.” Gleich drei davon hat sie in der Pandemie-Zeit geschrieben, allesamt Reiseführer – über Mallorca, Italien und Portugal mit authentischen, kulinarischen Rezepten, die Astrid zu Stolberg selbst ausprobiert hat.
Derzeit tüftelt sie an einem neuen Projekt – einem Fahrrad-Anhänger in der Farbe „erbsengrün”, den sie im Frühjahr 2023 fertigstellen will. Zu ihren vielen Ambitionen gehörte in den vergangenen Jahren auch der Leistungssport: Im Wettkampfschwimmen konnte die Prinzessin in ihrer Altersklasse bei den spanischen Meisterschaften sogar die Goldmedaille gewinnen. „Meine große Angst ist es, dass ich für all meine Pläne und Aktivitäten nicht mehr genug Zeit habe”, so das Energiebündel. Über den Unterschied zwischen Deutschland und Mallorca sagt sie:
„Meine Herkunft ist sicherlich deutsch, und dort sind meine Familie, meine Kinder und die Freunde.” Die Insel habe für sie aber Heimatcharakter: „Magisch auf Mallorca ist für mich vor allem das Licht. Ich fühle mich nicht „mallorquín”, aber es ist mein Zuhause. Eigentlich bin ich eine Wandernde.”