Anne-Marie und Willi Mörler haben einen Traum. Sie würden gerne für den deutschen Maler Ulrich Leman auf Mallorca eine Retrospektive ausrichten. Der Künstler lebte - wenn auch mit Unterbrechungen - von 1929 an auf Mallorca. Dort starb er 1988 im Alter von über 102 Jahren. "Es gebührt ihm einfach", sagt Anne-Marie Mörler voller Enthusiasmus, "Leman war ein herausragender Künstler und ein ungewöhnlicher Mensch. Jetzt im April, zu seinem 25. Todestag wäre ein guter Zeitpunkt gewesen."
Doch bislang hat niemand auf Mallorca Interesse gezeigt.
Die Mörlers sind der Kunst eng verbunden. Anne-Marie Mörler führt in Bad Nauheim die Galerie Remise, Willi Mörler ist ein viel beachteter Maler und Bildhauer und seit 1977 Mitglied des Oberhessischen Künstlerbundes, dem auch Ulrich Leman seit 1945 angehörte. In diesem Zusammenhang hörten sie von dem Künstler, den sie 1984 zum ersten Mal auf Mallorca besuchten: "Wir sind damals einfach nach Deià gefahren und haben uns durchgefragt. Von da hieß es einmal pro Jahr: "Ulrich - wir kommen!"
Beim ersten Besuch an einem regnerischen Wintertag schrieb Anne-Marie Mörler in ihr Reisetagebuch: "Leman sitzt im Sessel vor dem Kaminfeuer in Mantel, Mütze, Hand- und Hausschuhen und friert. Er freut sich über den Besuch aus Hessen, über die Grüße des Oberhessischen Künstlerbundes. Wir unterhalten uns lebhaft. Sogleich fallen ihm Namen ein. Er spricht über längst verstorbene Malerkollegen und frühere, schwere Zeiten..."
"Jeder Besuch bei Ulrich Leman in C'an Pelat war für uns wie eine Reise in vergangene Zeiten", sagt Anne-Marie Mörler. Sie kauften jedes Jahr ein Bild von Leman, was ihnen nicht immer leicht fiel: "Künstler sind nur selten reich. Und immerhin haben wir sechs Kinder", sagt Willi Mörler.
Für eine mögliche Ausstellung auf Mallorca stehen nun 40 Originalbilder zur Verfügung, aus den Jahren 1929 bis 1988, teils aus dem Besitz der Mörlers, teils aus dem Besitz des verstorbenen Heinz-Georg Baumgarten, ehemals Bankdirektor in Wetzlar, der dort 1991 eine Gedenkausstellung für Leman ausrichtete.
Die Mörlers sind außerdem im Besitz eines riesigen Fundus an Dokumenten: Testament, Briefe, Fotos. "Nach dem Tod des Lebensgefährten von Leman, José Font de Vila, verkam das Haus mit allem, was darin war. Wir haben Fotos und Briefe aus dem Müll gerettet", sagt Anne-Marie Mörler. Es ist ein Schatz, den sie hütet. Ein Schatz, den sie gerne der Öffentlichkeit zeigen würde.
Ulrich Leman war ein ungewöhnlicher Mann. Nach Studium in Düsseldorf und zahlreichen Studienreisen, unterbrochen vom Ersten Weltkrieg, trat er der Künstlergruppe "Das junge Rheinland" bei und gehörte seit 1920 dem Vorstand an. 1927 reist er mit einigen Künstlern der Gruppe und der berühmten Künstlermutter Ey nach Mallorca. Diese Reise erfolgte auf Einladung des spanischen Malers Jacob Sureda.
Leman mochte Mallorca, mochte das Licht, das Ambiente, die Farben der Insel. Er blieb und suchte sich eine Bleibe. Zunächst nur für einen Sommer. Es entstanden zahlreiche Skizzen und Aquarelle von der Landschaft, dem Leben der Inselbewohner, von den Sängerknaben im Kloster Lluc und auch Porträts. Ein Jahr später kam er erneut.
1930 erwarb er oberhalb von Deià den kleinen Landsitz C'an Pelat mit Terrassen voller Obstbäume und einem Olivenhain mit uralten Bäumen. Sein Garten wurde sein Paradies.
In den 1930er Jahren begegnete er befreundeten Künstlerkollegen in Llucalcari. Er erzählte den Mörlers, dass er hier auch mit Picasso und Miró sowie dem Kunsthändler Junyer zusammengetroffen sei. In diese Zeit fielen zahlreiche Malreisen nach Paris und auf das Festland. Damals lernte er seinen Lebensgefährten kennen, den Maler José Font de Vila, genannt Pepe, der ihn bis zu seinem Tod begleitet.
Auch die schwierige Zeit vor dem Spanischen Bürgerkrieg hielt Leman in zeitkritischen Bildern fest und dokumentierte damit die Situation der Inselbevölkerung. Während des Kriegs durfte Leman in seinem Refugium bleiben und erhielt von der Regierung die Erlaubnis zum Malen; er konnte sich als einer der wenigen Ausländer auf der Insel frei bewegen.
In diesen Jahren entstanden verschiedene Porträts seines Lebensgefährten Pepe sowie des Lebens auf dem Land.
Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde Leman durch ein fingiertes Telegramm nach Deutschland zurückbeordert. Er bekam Malverbot und erlebte den Krieg, die Vertreibung aus dem Elternhaus in Danzig, die Zerstörung seiner Ateliers im Osten und die Vernichtung seiner Werke während einer großen Ausstellung in Essen durch Bombardierung.
Nach der Flucht traf sich die Familie Leman in Oberhessen, in Gießen und Wetzlar, wo Ulrich Leman bis zur endgültigen Übersiedlung nach Mallorca lebte und in den Wintermonaten arbeitete. Leman wurde Mitglied im Oberhessischen Künstlerbund und beschickte die Ausstellungen mit seinen Bildern.
Erst Anfang der 50er Jahre konnte er wieder nach Deià zurückkehren. Pepe hatte in all diesen Jahren Haus und Bilder gehütet und gepflegt.
Jetzt begann wieder eine fruchtbare Schaffenszeit. In den folgenden Jahrzehnten entstanden zahlreiche Gemälde voller Lebensfreude und in farbenfroher Leuchtkraft, die er in den Winterausstellungen in Deutschland zeigte. Eine Einladung für viele Deutsche, nach Mallorca zu kommen. Die Farben explodieren geradezu, die Motive aus dem ländlichen Leben der Insel, der Fischer, der Obsthändler auf den Märkten, und besonders die Blütenpracht in seinem heimischen Garten Eden waren unerschöpfliche Quellen der Inspiration.
Ein leuchtendes Beispiel dieser ländlichen Fülle zeigt das Gemälde "Sonniger Herbst", auf dem Leman alles vereinte, was die Ernte ausmachte. Blumen, pralle Früchte, eine Bäuerin, die aus der Fülle etwas anbietet.
Nur ein paar Schritte neben seinem Haus gelangte Leman in seinen großen Olivenhain. In den letzten Jahren seines Lebens bot ihm dieser Hain mit den jahrhundertealten knorrigen Olivenbäumen zu jeder Tages- und Jahreszeit fesselnde Motive. In dem Gemälde "Junger Trieb an alter Olive" zeigt der Maler, dass das Leben immer weitergeht und die Hoffnung nicht stirbt.
Die letzten Versionen dieses Sujets, das ihn 60 Jahre auf Mallorca begleitete, in denen er zur expressiven Aussage seiner frühen Schaffensjahre zurückkehrte, sind, trotz nachlassender Sehkraft, ausdrucksstarke Beweise der ungebeugten Kraft seiner mehr als 102 Jahre Lebenszeit.
Er identifizierte sich gerne mit dem knorrigen uralten Baum und seinem bizarren Wachstum. "Sein langes, von zahlreichen Rückschlägen und Krankheiten gezeichnetes Leben, hatte für ihn Ähnlichkeit mit der alten Olive. Auch dieser Baum findet immer wieder die Kraft für neue Triebe, egal wie oft er von Naturgewalten, Stürmen oder Menschen gebeutelt wurde", sagt Anne-Marie Mörler. Für Ulrich Leman waren die Strukturen der Olivenbäume wie "Selbstporträts."
Er verstarb am 22. April 1988 in Deià und liegt auf dem dortigen Friedhof begraben.
Anne-Marie und Willi Mörler kommen immer noch regelmäßig nach Mallorca. In diesem Jahr zum 30. Mal.