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Leidenschaft und Leier: Als eine Magierin auf Mallorca Menschenopfer vereitelte

Mythos, Musical, Menschlichkeit – wie die Macht der Musik zur Aufführung von „Nuredduna“ das Publikum in Can Gats gefangen nahm

Die Statue der Nuredduna, geschaffen von der Bildhauerin Remigia Caubet, steht weithin sichtbar am Stadtstrand Can Pere Antoni in erster Meereslinie in Palma. Dort wurden 1999 zu Ehren der Künstlerin Blumen niedergelegt | Foto: Archiv Grup Serra

| Llucmajor, Mallorca |

Es war einer jener Abende auf Mallorca, an denen Kunst und Mythos zu einem leuchtenden Ganzen verschmelzen. In der stimmungsvollen Atmosphäre von Can Gats in Llucmajor wurde das Musical „Nuredduna“ aufgeführt – ein Werk, das den Bogen von der mallorquinischen Sage bis in die Gegenwart spannt. Geschrieben und komponiert vom mallorquinischen Pianisten Magí Garcías, basiert es auf dem gleichnamigen Werk des Dichters Miquel Costa i Llobera. Der Regisseurin und Dramaturgin Elisabeth Engstler wiederum ist eine poetisch präzise Übersetzung seiner Verse ins Deutsche zu danken.

Von der ersten Note an nahm die Musik das Publikum mit auf eine Reise zwischen Inseltradition und moderner Klangsprache. Garcías gelingt es, die archaische Kraft der Sage mit der Emotionalität eines zeitgenössischen Musicals zu verbinden – zart, leidenschaftlich und immer wieder überraschend in den harmonischen Wendungen. Mal flirrten mallorquinische Volksmotive durch den Raum, mal traten sie zurück zugunsten sinfonischer Breite und dramatischer Intensität.

In der Titelrolle der Nuredduna begeisterte Pamina Lenn, bekannt aus Produktionen wie „Ku’damm 59“ und Disneys „Eiskönigin“, mit einer stimmlichen Präsenz, die zwischen zerbrechlicher Innigkeit und eruptiver Kraft changierte. Ihr gegenüber: Tim Al-Windawe, der zuvor in „The Rocky Horror Show“ und „West Side Story“ auf der Bühne stand, beeindruckte in der Rolle des Kriegers und Fremden mit einer ausdrucksstarken Stimme voller Wärme und einer körperlichen Präsenz, die Kraft und Verletzlichkeit zugleich ausstrahlte. Zwischen beiden funkte es – nicht laut, sondern in feinen, glaubhaften Nuancen.

Ein Moment während der Aufführung in Can Gats. Foto: tco

Besonders eindrucksvoll war die Aktualität vieler Textpassagen. Wenn Nuredduna singt „Wir fühlen alle gleich, egal in welcher Sprache“, schwang darin mehr mit als die Sehnsucht einer mythischen Figur: Es war eine Botschaft an das Heute, an ein Europa zwischen Grenzen und Begegnungen.

Am Ende blieb das Publikum – bewegt, begeistert, dankbar. „Nuredduna“ ist weit mehr als ein Musical. Es ist eine Hommage an die Insel, an ihre Geschichte und an das, was uns alle verbindet: die Sprache des Herzens.

Historischer Hintergrund

Das epische Gedicht „La deixa del geni grec“ („Das Vermächtnis des griechischen Geistes“) wurde im Jahr 1900 in Pollença vom Dichter Miquel Costa i Llobera verfasst und umfasst insgesamt 642 alexandrinische Verse. Das Gedicht erzählt die Geschichte einer Gruppe griechischer Seefahrer, die vor Jahrtausenden auf Mallorca, in Bocchoris nahe dem Hafen von Pollença, landeten. Unter ihnen befindet sich ein junger Dichter namens Melesigenes, ein Alter Ego Homers.

Im Verlauf des Gedichts werden die Griechen von den einheimischen Stämmen der Steinschleuderer der Insel gefangen genommen, um in den Talayots nahe den Höhlen von Artà als Menschenopfer dargebracht zu werden. Doch in der Nacht, als das tödliche Opferzeremoniell beginnt, wird die mallorquinische Priesterin Nuredduna vom Gesang des jungen Rhapsoden Melesigenes ergriffen und beschließt, ihn zu befreien. Die Aktion gelingt, Nuredduna bleibt jedoch voller Sehnsucht zurück.

In der Eile der Flucht vergisst Melesigenes zudem seine Rhapsodenleier in der Höhle. Diese wird so zum eigentlichen Vermächtnis des griechischen Geistes – ein Symbol des Klassizismus, das die Volkskultur Mallorcas befruchtet und den Weg zur gebildeten Dichtung ebnet.

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