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Der Sternepionier

"Die Michelin-Tester sind zu 100 Prozent objektiv und unabhängig"

2006 verzichtete der französische Mallorquiner freiwillig auf seinen Michelin-Status. | Foto: Joan Lladó

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"Der Guide Michelin ist nach wie vor das Vorbild für alle anderen Gourmet-Führer", meint Gérard Tétard vom Hotel-Restaurant Ses Rotges in Cala Rajada. 1978 holte er den ersten Stern auf die Insel. Bis zum freiwilligen Verzicht 2006 führte er die Auszeichnung 28 Jahre lang ununterbrochen.

Mittlerweile muss der Franzose nicht mehr mitfiebern, wenn es (wie jüngst dieses Jahr am 22. November) um die Vergabe der neuen Sterne geht. Am Herd steht der 64-Jährige aber immer noch - und kann seit August 2012 auf 50 Jahre Küchenerfahrung zurückblicken.

"Die Tester sind zu 100 Prozent objektiv und unabhängig. Dafür muss man dankbar sein", sagt Tétard, der den Michelin-Fundus mit Tausenden an sorgfältig ausgewählten Adressen auch persönlich schätzt und öfter bei Kollegen essen geht, sei es bei Jahrhundertkoch Joël Robuchon, bei Drei-Sterne-Chefin Carme Ruscalleda in Sant Pol de Mar auf dem Festland oder bei Mallorcas jüngster Michelin-Köchin Macarena de Castro in Port d'Alcúdia. Mit dem langjährigen Sternekollegen Gerhard Schwaiger vom Tristán in Portals ist er persönlich befreundet: "Früher haben wir gerne mal zusammen gekocht."

Mehr Fürsprecher wie Tétard würde man sich bei der krisengeplagten und von manchen als rückschrittlich kritisierten Verlagssparte von Reifenhersteller Michelin sicherlich wünschen. Schon seit Jahren sind die Verantwortlichen jedenfalls darum bemüht, das konservative Raster aufzulockern und für frisches Blut zu sorgen. Dinge, die früher keinesfalls durchgegangen wären, werden plötzlich toleriert, etwa reduzierte Öffnungszeiten, mit denen zum Beispiel Tétard-Schüler Tomeu Caldentey in Sa Coma experimentiert.

"Das ist gut so", findet Tétard, der seinen Stern damals vor allem wegen der extremen Arbeitsbelastung zurückgab, die er im Interesse der Gesundheit reduzieren wollte. Geöffnet ist seitdem nur noch abends. Der Ruhetag am Sonntag kommt dem Familienleben zugute und wird auch vom Sohn und designierten Nachfolger William Tétard (29) und seiner Gattin geschätzt, die in wenigen Jahren im Ses Rotges endgültig das Ruder übernehmen sollen. Die Geburt von Töchterchen Chloë fiel praktischerweise exakt auf den Beginn der Winterpause am 1. November.

"So wie jetzt ist das Arbeiten ein Vergnügen", meint Tétard, dessen ältester Sohn Alex (31) als Hoteldirektor in Barcelona tätig ist. Geändert habe sich nur die personelle Besetzung, nicht das Niveau der Küche. Ihr Erfolgsrezept sieht die Familie damals wie heute in der Beständigkeit. "Es ist besser, sich auf ein Lokal zu konzentrieren als gleichzeitig noch mit drei anderen Projekten anzufangen", schildert Gérard Tétard die Strategie, mit der er 28 Jahre lang seinen Stern verteidigte.

Weniger umtriebig und geltungsbewusst als in der Branche üblich, erlebte der französische Mallorquiner auch weniger Aufs und Abs als Tausendsassas wie die Ex-Sterneköche Marc Fosh und Koldo Royo oder der immer wieder als Michelin-Kandidat gehandelte Benet Vicens. Ähnlich wie Josef Sauerschell vom Racó des Teix in Deià hält sich der Doyen der Inselgastronomie lieber aus dem Medien- und Event-Getriebe heraus, um sich voll auf sein Etablissement zu konzentrieren.

Dabei fiel Tétard mit seinem familiären Hotel ursprünglich durchaus aus dem Rahmen: "Normalerweise schafften es damals nur reine Restaurants in den Guide Michelin. Vom ersten Stern haben wir eher nebenbei von einem Lieferanten erfahren."

Einen Teil seiner Lehrjahre verbrachte der aus Lyon stammende Tétard übrigens beim mallorquinischen Zuckerbäcker Carlos Ferragut im elsässischen Mulhouse. Der Exil-Spanier vermittelte seinen Mitarbeiter schließlich auf die Insel an Verwandte im Hotel Ses Rotges. Aus dieser Zeit stammt auch die Vorliebe für hausgemachte Petits Fours, die bis heute zu den besten Desserts des Hauses zählen. Ansonsten setzt Tétard vor allem auf perfekt zubereitete Naturprodukte wie Seezunge mit Trüffelsoße, Langusten und Rote Gambas.

Tribut an Cala Rajada (zu deutsch: "Rochenbucht") ist unterdessen die gebratene Rochenflosse mit Safransoße und Gemüse. Eine Kreation, die womöglich auch den Michelin-Testern geschmeckt hat, die 2012 erstmals wieder vorbeigeschaut haben. Ein Sterne-Revival für Cala Rajada wäre allerdings eine faustdicke Überraschung.

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