Ich habe noch „Glück”, wie mir meine Leidgenossen in der Schlange bestätigen: Die dreieinhalb Stunden, die ich für das Ergattern des „Certificado de Registro de Ciudadano de la Unión” vor der Ausländerbehörde brauche, gelten als „Rekordzeit”. Die meisten, die sich hier an diesem Morgen im Polígono de Levante eingefunden haben, um sich in das Ausländerregister (Registro Central de Extranjeros) eintragen zu lassen, sprechen von fünf, sechs Stunden, einige sind schon den zweiten Tag damit beschäftigt. Radu aus Rumänien und ihre beiden Freunde waren schon um 7.30 Uhr hier, obwohl die Behörde erst um 9 Uhr öffnet: „Aber die Schlange hat sich seither nicht verändert.”
Das ist auch kein Wunder, denn die „Organisation” ist, mit dem wohlwollenden Humor von „nur” dreieinhalb Stunden Wartezeit gesprochen, ein Witz. Genau genommen gibt es zwei Schlangen: Eine – etwa 100 Personen umfassende – Reihe, die die Bearbeitungsgebühr von 6'70 Euro schon bezahlt hat, eine kürzere für die, die für eben dieses Formular noch anstehen müssen. Ich habe wieder „Glück”: Die Nummern sind vergriffen, der Beamte schickt die Menschen nach Hause. Als ich verdutzt nachfrage, drückt er mir nach Rückfrage – Haben Sie eine NIE-Nummer? Antwort: Ja – besagtes Formular in die Hand. So bleiben mir einige Wartestunden erspart.
Also, auf zur Bank. Da eine „Sa Nostra”-Filiale ein paar Straßen weiter liegt, wie mir ein Passant berichtet, riskiere ich es, meinen lang gesuchten Parkplatz aufzugeben. In der Bank herrscht ebenfalls Hochbetrieb: Acht Leute vor mir sind mit dem gleichen Anliegen dort, die Angestellten freundlich, aber gestresst. Zurück zur Ausländerbehörde – Parkplatz, juhu! – und in Schlange Nummer zwei eingereiht. Es ist jetzt 10.30 Uhr, zwei Stunden Wartezeit in der heißen Sonne liegen vor mir. Nur ein alter Mann mit Gehstock sitzt auf einem Stuhl unter einem schattenspendenden Bäumchen, alle anderen – auch Mütter mit Kinderwagen – schwitzen mit mir in der Vormittagssonne. Vinny (44) aus Bulgarien hat schon sechs Stunden für die ganze Prozedur aufgebracht: „Ein sehr merkwürdiges, umständliches System ist das, und keiner gibt dir richtig Auskunft.” Dann verschwindet er kurz, um sich ein Käppi aus dem Auto zu holen, denn die Sonne brennt gnadenlos auf sein fast kahlgeschorenes Haupt. Der gebürtige Portugiese Rui Costa (47), der hinter ihm steht, spricht von der „lächerlichsten Prozedur”, die er je erlebt hat: „Schlimm, was hier vor allem alten und gebrechlichen Menschen zugemutet wird – nicht mal eine Toilette gibt es.”
Angesprochen auf diese Missstände betont Jordi Bayona, Pressechef der Vertretung der Zentralregierung auf den Balearen, dass es sich dabei um einen „Ausnahmezustand” handle, der durch unglückliche Umstände noch verschärft würde: „Unter den Antragstellern sind zum Beispiel sehr viele bulgarische und rumänische Mitbürger, die erst seit Anfang des Jahres zu den EU-Mitgliedstaaten gehören.” Deshalb rät Bayona allen Betroffenen mit gültiger Residencia mit der Registrierung bis nach der Frist (2. Juli) zu warten, um sich unnötige Wartezeiten zu ersparen. Den Standortwechsel vom Hauptgebäude der Policía Nacional in der Innenstadt zum Polígono habe man gemacht, weil hier doppelt so viel Raumkapazität herrsche. Und die Bearbeitungsgebühr lasse sich nach geltenden Richtlinien leider nicht anders regeln. Jordi Bayona: „Es ist natürlich zur Zeit etwas umständlich – aber nach dem 2. Juli wird es ruhiger zugehen.”
Hoffentlich. Um 12.30 Uhr habe ich es schließlich bis zum Eingang geschafft. Ein Beamter verteilt höchstpersönlich Nummern, dann werden wir endlich eingelassen. Der Countdown läuft: Ich habe Nummer 63, laut Leuchtschrift-Anzeige ist Nummer 42 dran. Egal: Ich sitze! Genau wie die rund vierzig anderen Register-Aspiranten, für die es hier Plastikstühle gibt. Wie Herbert Theils (67) aus Can Picafort, der mit Ehefrau Irmtraud der letzten Phase seiner Odyssee entgegenblickt: „Zwei Tage sind wir schon damit beschäftigt”, stöhnt er. „Ein echtes Chaos.” Die Wege habe er per Taxi absolviert, um sich wenigstens den Parkplatzärger zu ersparen.
Was hatte Vinny vorhin in der Schlange gesagt? Am cleversten sei es vielleicht, erst um 13.30 Uhr, eine halbe Stunde vor Schluss, zu erscheinen. Fehlanzeige: Um Punkt eins wird den zahlreichen Menschen in der Schlange draußen gesagt, sie könnten nach Hause gehen und „am Montag wiederkommen”. Ich sitze richtig angespannt auf meinem Plastiksitz, noch drei Nummern trennen mich von meinem Ziel: Jetzt bloß keinen Fehler machen. Um 13.04 Uhr ist es vollbracht. Und die Moral von der Geschicht: Wer resigniert, den registriert man nicht.