Wer auch immer die Leiche der jungen Frau mitten in den Eingang platzierte, verfolgte ein bestimmtes Ziel: Er versperrte den Zugang zum dahinterliegenden Raum. „Der Ort muss eine derart rituelle Bedeutung gehabt haben, dass er auch nur auf rituelle Weise abzuriegeln war”, sagt der mallorquinische Archäologe Javier Aramburu.
Die Frau, die im Tod als Torwächter zu fungieren hatte, wurde erst vor wenigen Wochen von Archäologie-Studenten in der Talaiot-Siedlung Cas Canar bei Sencelles als Skelett ausgegraben. Zeitgleich mit dem Tod der Früh-Mallorquinerin war so um 600 vor Christus auch das prähistorische Dorf zerstört worden. Das aus Baumstämmen sternförmig ausgelegte Dach des Talaiots, einem in diesen Fall quadratischen Sakralbau mit zentraler Steinsäule, war in einer Feuerbrunst eingestürzt. Der Ruinenort blieb drei Jahrhunderte unbesiedelt.
Die jüngsten Forschungen in Cas Canar decken sich mit weiteren Erkenntnissen, die Archäologen an anderen Grabungsstellen der Insel zu Tage fördern: Der Übergang der talaiotischen Epoche zur post-talaiotischen beziehungsweise balearischen Epoche um das Jahr 550 vor Christus war blutig, geradezu kriegerisch. „Es gab eine massive Krise, die mit Brandschatzungen und Zerstörungen einherging”, sagt die Archäologin Paula Amengual, die an der talaiotischen Ruinensiedlung von Son Fornés bei Montuïri forscht. „Wir vermuten, es gab einen Interessenkonflikt der Inselbewohner untereinander. Es war zumindest kein Angriff von außen.”
Erst allmählich bekommen die Forscher eine Ahnung von dem menschlichen Grauen, das sich zur prähistorischen Zeitwende auf Mallorca zutrug. Javier Aramburu, der im vergangenen Sommer die Ausgrabung in der Talaiot-Siedlung von Ses Païsses bei Artà leitete, spricht von einem „radikalen Wechsel”, einem „totalen Bruch”. Die bis etwa 600/550 vor Christus gültige Talaiot-Kultur wurde quasi über Nacht vernichtet, ihre Gebäude zerstört. Die bis dahin vorherrschenden Sozialstrukturen wurden beseitigt, es entstand eine völlig neue Kultur mit eigener Architektur und Organisation.
In Son Fornés, so Paula Amengual, brach das Unheil in Form eines verheerenden Großbrandes über die Siedlung herein. Die Einwohner flüchteten oder wurden verschleppt. Es ging alles so rasch vonstatten, dass die Menschen nicht einmal Zeit hatten, ihr Kochgeschirr von den Herdstellen zu nehmen.
Javier Aramburu vermutet hinter dem archaischen Inselkonflikt einen starken Bevölkerungsdruck, der – durch einen Klimawandel verschärft – zu gewaltsamen Auseinandersetzungen eskalierte.
Paula Amengual verweist anhand der Grabungserkenntnisse in Son Fornés auf den Unterschied der Gesellschaften vor und nach dem konfliktreichen Paradigmenwechsel: Herrschten während der Talaiot-Epoche egalitäre Sozialstrukturen vor, samt geringen Rangunterschieden und gleichmäßiger Besitzverteilung, so sind danach ausgeprägte Unterschiede im Besitztum und in der sozialen Bedeutung Einzelner festzustellen. „Die Lebensbedingungen wurden für die Mehrheit der Bevölkerung hart. Sie wurde ausgebeutet von einer Schicht der Besitzenden.”