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Die Nacht des Sybillengesangs

Der „Cant de la Sibil.la” wird am Heiligen Abend gesungen

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Der Sybillengesang war hier immer lebendig, war Teil des ganz normalen Jahresablaufs“, sagt Ricard Terradas, Leiter der Musikschule von Lluc. „Doch nun, da der ‚Cant de la Sibil.la‘ zum Weltkulturerbe erklärt wurde, sind wir uns der Tradition noch mehr bewusst. Was normal ist, wird oft weniger geschätzt.“

Mitte November konnte Mallorca feiern. Eine Kommission der Unesco erhob den traditionellen Gesang, der Jahr für Jahr in den Kirchen der Insel am Heiligen Abend zur Mitternachtsmesse er-klingt, zum „Patrimonio Inmaterial de la Humanidad“. Politiker, Presse, Autoritäten waren begeistert.

Kritiker sprachen aufgrund des Booms – ist in diesem Jahr von Weihnachten die Rede, spricht man automatisch auch vom Sybillengesang – von einer möglichen Profanisierung. Dem widerspricht Joan Comas von der Klosterschule in Lluc: „Natürlich gibt es jetzt viele Konzerte. Aber man kann den Sybillengesang sowohl als wunderbares Musikstück sehen, als auch als Teil der Liturgie. Dabei gehen die Auffassungen auseinander. Außerdem – der Boom wird sich wieder legen.“

Gleichzeitig ist Joan Comas aber auch stolz ob der Ehre und Wertschätzung, die diese urmallorquinische Tradition erfahren hat: „Die Auszeichnung ist auch das Ergebnis jahrelanger Arbeit und Pflege dieses Brauchtums.“

Der Sybillengesang hat heidnischen Ursprung – Sybillen waren Prophetinnen der Antike, die in der ganzen griechisch-römischen Welt verehrt waren – und wurde im Zuge der Christianisierung der Insel Teil der Liturgie. Seit der Rückeroberung von den Arabern im 13. Jahrhundert ist er fester Bestandteil der Mitternachtsmesse am 24. Dezember. Und er erklingt in allen Kirchen der Insel. Es heißt, der schönste „Cant de la Sibil.la“ sei im Kloster Lluc und in der Kathedrale von Palma zu hören. In Lluc singt in diesem Jahr der 11-jährige Daniel Portz (siehe Seite 45), in der Kathedrale die Sopranistin Cristina van Roy (22), die das schwierige Musikstück dort und in anderen Kirchen schon mehrfach interpretiert hat (Foto). Aber auch wenn Laien die „Sibil.la“ anstimmen, ist es ein festliches und feierliches Erlebnis.

Während zu früheren Zeiten stets ein Knabe die Sibil.la sang, dürfen heute auch Frauen und Mädchen diese Rolle übernehmen. Während ihres Vortrages in den Kirchen tragen sie seit altersher eine Art Tunika in meist hellblauer Farbe, einen Kopfschmuck mit Bändern, und in der Hand ein langes Schwert als Zeichen der Gerechtigkeit.

Der Text hat acht Strophen, erzählt vom Weltgericht und dem Jüngsten Tag, von Jesus als König und von der Ehre der Muttergottes. „Cant de la Sibil.la“, Freitag, 24. Dezember, in der Mitternachtsmesse um 23 Uhr in der Kathedrale und im Kloster Lluc, und auch in fast allen anderen Kirchen der Insel.

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