Der Welt wurde er spätestens bekannt, als er 2004 den USA und Großbritannien vorwarf, sie hätten keine rechtliche Grundlage für ihre Militäraktion gegen den Irak gehabt: Der schwedische Abrüstungs- und Nuklearexperte Hans Blix war der Mann, der im Irak vergeblich nach Massenvernichtungswaffen suchte. Jetzt weilte der 84-Jährige mit seiner Frau Eva auf Mallorca, um Goldene Hochzeit und den 60. Geburtstag seines Freundes Onni Nordström zu feiern.
Im Interview mit MM erinnert der 84-Jährige, der von 1981 bis 1997 der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) vorstand, an das damalige Geschehen und bekräftigt seine befürwortende Haltung gegenüber der friedlichen Nutzung der Kernenergie - trotz Tschernobyl und Fukushima.
Mallorca Magazin: Übten die USA und Großbritannien damals großen Druck auf Sie aus?
Hans Blix: Nein, das würde ich nicht sagen. Aber man hörte nicht auf uns. Wir haben immer wieder gesagt: "Ihr seid sicher, dass es im Irak diese Waffen gibt. Dann verratet uns auch, wo ihr sie vermutet." Das geschah dann. Wir haben mindestens drei Dutzend Plätze aufgesucht, die von den Geheimdiensten genannt wurden. Massenvernichtungswaffen haben wir nicht gefunden. Es gab sie nicht.
MM: Haben Sie Saddam Hussein jemals persönlich getroffen?
Blix: Nein. Er hätte sich niemals mit so kleinen Figuren wie mich abgegeben.
MM: Wie schätzen Sie heute den Irak-Krieg ein?
Blix: Dieser Krieg war eine Tragödie. Und ein Fehler in jeder Hinsicht - abgesehen von der Tatsache, dass Saddam Hussein stürzte. Er war ein mittelalterlicher Tyrann. Was wir danach erlebten, die vielen Bombenattentate, führt aber auch zu dem Schluss: Anarchie kann schlimmer sein als Tyrannei.
MM: Stehen wir am Beginn eines ganz ähnlichen Konfliktes, nämlich mit dem Iran?
Blix: Es gibt Parallelen, aber auch große Unterschiede. Ähnlich sind die Drohungen, dort einzumarschieren, weil der Iran dieses oder jenes tut. Hauptsächlich geht es natürlich um den Vorwurf, der Iran würde Kernwaffen bauen.
MM: Hat der Iran denn die Bombe?
Blix: Der Iran hat ein umfangreiches Nuklearprogramm, und er kommt der Fähigkeit, die Bombe zu bauen, näher. Aber er hat keine Kernwaffen. Ich denke, die USA gehen davon aus, dass allein die Drohung einer Militäraktion Wirkung zeigt.
MM: Also Hoffnung, dass es keinen Krieg gibt?
Blix: Ja. Ich bin ziemlich sicher, dass Obama nach den Erfahrungen im Irak und in Afghanistan keinen neuen Konflikt sucht.
MM: Wie wirkt sich denn der Arabische Frühling auf den Konflikt aus?
Blix: Eines wird dabei nur selten beachtet: Husni Mubarak und andere übten auf Israel keine große Opposition aus, während der Araber auf der Straße empört war über die Situation der Palästinenser. Jetzt können wir Regierungen bekommen, die die Gefühle der Menschen stärker repräsentieren. Und genau das fürchtet Israel - dass diese Regierungen kritischer sein werden.
MM: Was sollte die internationale Politik tun, um den Konflikt zwischen Israel und dem Iran zu entschärfen?
Blix: Ich habe da meine persönliche Vision, über die Israelis und Iraner freilich lachen werden. Ende des Jahres soll es in Helsinki eine Konferenz über eine atomwaffenfreie Zone im mittleren Osten geben. Ursprünglich war das eine ägyptisch-iranische Initiative, gegen Israel gerichtet, weil nur Israel Kernwaffen hat. Mein Vorschlag: Eine Resolution anzustreben, die nicht nur die Eliminierung der (israelischen) Atomwaffen vorsieht, sondern auch die Verfahren zur Uran-Anreicherung. Das beträfe dann den Iran. Und nicht nur den Iran. Die Anreicherung kann auch in anderen arabischen Ländern auf dem Plan stehen - und dann vervielfachen sich die israelischen Probleme.
MM: Vieles hängt von den USA ab. Wünschen Sie sich eine zweite Amtszeit von Obama?
Blix: Ja, ich bewundere Obama. Und es ist schade, dass er seine liberale Agenda aufgrund des Drucks der Republikaner nicht in die Tat umsetzen konnte. Er wollte die Ära der Polarisation in der Welt beenden, hat es aber nicht geschafft. Eine bittere Erfahrung. Aber ich denke, in einer zweiten Amtszeit könnte er freier handeln. Sein Instinkt für Abrüstung ist gut. Es ist einfach absurd, dass jährlich weltweit 1,8 Billionen Dollar für Rüstung ausgegeben werden. Dieses Geld sollten wir zur Bewahrung des Planeten ausgeben.
MM: Kommen wir zur friedlichen Nutzung der Nuklearenergie. Sie sind nach wie vor ein Befürworter der Kernenergie. Warum?
Blix: Lassen Sie mich zunächst Folgendes ausführen. Nach Tschernobyl wurden viele Anlagen in der Welt sicherer gemacht, aber ihre Zahl stieg nicht weiter an. Bis die CO2-Problematik aufkam. Plötzlich wuchs die Einsicht, dass die Kernanlagen große Mengen an Energie liefern können, ohne Treibhausgase zu erzeugen. Jetzt kam Fuku-shima - und eine neue Angstwelle. Eine Angstwelle, die übrigens sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Siehe Deutschland und Spanien.
MM: Spanien verlängert die Laufzeiten, Deutschland beschließt den Atomausstieg. Spanien handelt richtig?
Blix: Ja, wenn gewährleistet ist, dass die Anlagen auf den neuesten Stand gebracht werden und völlig sicher sind. In Fuku-shima war übrigens mindestens eine anstehende Modernisierung, die die Auswirkungen der Katastrophe möglicherweise begrenzt hätte, nicht durchgeführt worden. Besser als die Verlängerung von Laufzeiten ist allerdings der Bau neuer Anlagen höchsten Standards. Aber das verhindern die Grünen.
MM: Die Menschen haben einfach Angst vor der Atomkraft. Kein Verständnis dafür?
Blix: Doch. Die Opposition beruht auf drei Gründen: die großen Unfälle, die Möglichkeiten des Missbrauchs spaltbaren Materials und die Entsorgungsfrage. Für mich, der sich stetig mit der Materie befasst, erscheint es aber etwas seltsam, dass die Angst nach Fukushima so tief sitzt, wenn man bedenkt, dass der Tsunami 20.000 Tote verursachte, die nukleare Strahlung nicht einen einzigen. Aber auch dafür gibt es natürlich Gründe: Die meisten Menschen haben Angst vor Radioaktivität, weil wir sie nicht riechen, nicht sehen, nicht fühlen können. Da wäre eine gewisse Rationalisierung vonnöten.
MM: Nicht einmal die ungeklärte Entsorgungsfrage lässt Sie wanken?
Blix: Vielleicht ist die Entsorgung sogar der größte Vorzug dieser Energie. Der Abfall ist volumenmäßig so gering, dass man ihn isolieren und in sicheren Tiefen lagern kann.
MM: Das berühmte Restrisiko ist also einzugehen?
Blix: Ja. Denn wir müssen uns fragen: Was ist die Alternative? Die Verschwendung von fossilen Brennstoffen, deren Abgase in die Atmosphäre gelangen. Die Klimaerwärmung wird zur größten Hausforderung für die Menschheit werden.
MM: Aber es gibt noch einen Zwischenweg: die erneuerbaren Energien.
Blix: Deren Ausbau ist ja auch gut. Aber wie weit kommen wir damit? Der weltweite Energiebedarf wird zu 80 Prozent aus fossilen Brennstoffen gedeckt. Es gibt nur wenige Leute, die daran glauben, dass der Energiebedarf von Kalkutta oder Schanghai mit erneuerbaren Energien zu befriedigen ist. Ihr Anteil ist sicherlich zu steigern - aber dabei wird auch die Frage aufkommen, was das kostet. Verglichen damit ist die Nuklearenergie höchst konkurrenzfähig.
MM: Sie sind 84 Jahre alt, bei bester Verfassung und immer noch in aller Welt aktiv? Wie machen Sie das?
Blix: Ich bin einfach an den Dingen interessiert. Allerdings habe ich ja schon reduziert. Dieses Jahr sind es nur 20 Auslandsreisen.
MM: Was steht als Nächstes an?
Blix: Ich bin unter anderem für die Stiftung aktiv, die einen neuen Sarkopharg für die Reaktor-Ruine in Tschernobyl finanziert. Dafür brauchen wir 1,5 Milliarden Dollar.
Die Fragen stellten Clara Giner, Humphrey Carter und Bernd Jogalla.
ZUR PERSON: HANS BLIX
Der Schwede Hans Blix (84) ist einer der renommiertesten Diplomaten und Abrüstungsexperten. Er gehört der Folkpartiet liberalerna an und war 1978/79 Außenminister Schwedens. Zuvor war er bereits Mitglied der schwedischen Delegation der Genfer Abrüstungskonferenz (UNCD).
Von 1981 bis 1997 bekleidete Blix das Amt des Direktors der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO). Er war 1986 einer der ersten westlichen Wissenschaftler, die den zerstörten Reaktor von Tschernobyl besichtigten.
Trotz des Unglücks befürwortet Blix die friedliche Nutzung der Kernenergie. Von 2000 bis 2003 führte Blix die Kommission, die im Irak vergeblich nach Massenvernichtungswaffen suchte.