Der silberne Kombiwagen ruckelt, rollt über Schotter und Sand. Staub wirbelt auf, links und rechts Warnbaken. Die Fahrerin des Autos schaltet herunter, erster Gang. Sie macht eine Wellenbewegung mit der Hand, ahmt das Profil der Straße nach. Der Nissan fährt um eine Kurve, erreicht Asphalt, zweiter Gang. Hier gibt es Bürgersteige, Vorgärten, Villen. Die Unterschiede von Straße zu Straße könnten kaum größer sein, in diesem Viertel in der Nähe der Playa de Palma. Das heißt: Es gibt noch jede Menge zu tun.
Seit gut zwei Jahren fahren hier nun aber Bagger umher. Bauarbeiter legen Rohre, asphaltieren Straßen. Damit Bellavista nicht nur einen schönen Blick auf die Bucht von Palma hat, sondern auch selbst bella wird.
Dass auch heute, an einem Donnerstagvormittag, ein blauer Lastwagen mit Rohren auf der Ladefläche den Hügel hochfährt, ist zu großen Teilen der Verdienst von Cati Riutort. Sie führt durch das Viertel, die Fenster des Autos heruntergekurbelt. Um schnell Anwohner grüßen zu können.
Cati Riutort ist 72 Jahre alt, Mallorquinerin und an ihrer olivgrünen Jacke zu erkennen. Sie trägt eine meerblaue Brille, ihr blondes Haar reicht bis zu den Ohren. Riutort redet viel und schnell. Besonders wenn es darum geht, was ihre Anwohnervereinigung „Junta de Compensación” in Bellavista seit 1991 alles erreicht hat.
Als das MM 2017 das erste Mal das Wohnviertel besucht, bestehen Straßen aus Schotter, Gesteinsbrocken, Lehm und Schlaglöchern. Im Herbst 2018 begannen die Arbeiten. „Heute haben wir einen Lidl”, sagt Cati Riutort. In ihrer Stimme klingt Stolz, ihre Augen weiten sich. Straßen seien mittlerweile beleuchtet, es gebe Bürgersteige. „80 Prozent des Viertels sind fertig”, sagt Riutort. „Wir hoffen, dass die Arbeiten im Sommer durch sind.”
Das ist ein optimistisches Ziel. Es fehlt etwa noch die Kanalisation. Anschlüsse sind bis zu den Vorgärten gelegt, aus deren Erdreich Rohre herausragen. Die Bewohner von Bellavista haben noch kein Leitungs- und Abwasser, die Häuser stattdessen Zisternen. Ein Basketballfeld sowie ein Park mit Bänken sollen noch entstehen.
Ein Katalane soll die Urbanisation in den 1920er Jahren gekauft und nach dem Vorbild des Planbezirks Eixample in Barcelona mit quadratischen Häuserblocks angelegt haben. Allerdings ohne jede Infrastruktur wie Straßenbelag, Bürgersteige, Beleuchtung. Etwa 300 Häuser gibt es in Bellavista, das rund 300.000 Quadratmeter misst und zwischen 1200 und 1500 Menschen zählt. Sie wohnen alle in der gleichen Straße: Bellavista. Angehängt werden die Buchstaben A, B, C, D, E, F, H, N sowie Nummern.
Cati Riutort fährt gerade durch Bellavista-N und sieht die Aufschrift auf einem Betonklotz: „Una vida”. Dazu sagt sie: „Mein Leben bedeutet für mich, Dinge zu regeln.” Riutort war es immer wichtig, in einem legalen Viertel zu leben. Besonders wegen der drei Kinder. 1991, als Riutort mit ihrem Mann in das Viertel zog, fing sie an, sich mit sechs weiteren Mitgliedern der Anwohnervereinigung um die Erschließung von Bellavista zu bemühen. 17 Jahre später begannen die Arbeiten, abgesegnet vom Rathaus in Palma.
Deswegen kennt Cati Riutort hier fast jeden Anwohner – und lobt sie. Etwa die drei, die gerade eine Tür ihres Hauses reparieren. Oder zwei andere, die Gestrüpp von der Straße räumen. Das Haus eines Rentners fällt auf, weil er verschiedene Pflanzen in seinem Vorgarten hat: Kakteen, Pinien, Rosenbüsche.
Doch nicht nur viel Zeit haben Cati Riutort und die anderen Anwohner in Bellavista investiert. „Etwa 17 Millionen Euro kostet das alles”, sagt die Rentnerin. Darin enthalten sind Erschließungskosten, Straßen, Gehwege, Kanalisation, Licht, der Park, die Sportanlage.
Nicht alle Anwohner zahlen ihren Anteil freiwillig. Die Junta hat deshalb einige Gerichtsprozesse geführt – und die Anwaltskosten bezahlt. Alles in allem belaufen sich die Kosten für Riutort und ihren Mann auf 50.000 Euro in den vergangenen 15 Jahren. Und das bei Riutorts heutiger Rente von 560 Euro im Monat.
Gewinn könnten diejenigen machen, die ihre Häuser in ein paar Jahren verkaufen. Der Wert manch eines Hauses steigert sich von 300.000 auf 500.000 Euro. Falls die Bewohner überhaupt noch weg wollen.
Auch die Deutschsprachige Evangelische Gemeinde bezahlt dafür, dass das Viertel erschlossen wird. Holmfried Braun ist seit September vergangenen Jahres ihr Pfarrer – gemeinsam mit seiner Frau Martje Mechels. Der 52-Jährige und die 51-Jährige stammen vom Niederrhein, aus Moers. Das Haus der Gemeinde befindet sich in Straße H. Auf der Homepage der Gemeinde steht: „Wegen Bauarbeiten werden immer wieder Zufahrten gesperrt.”
Vor dem Haus des Gemeindezentrums ist zwar ein Gehweg entstanden, statt über Asphalt fahren die Pfarrer aber noch über ein Steingemisch, wie sie es nennen. „Bei Regen ist es matschig”, sagt Holmfried Braun.
Die evangelische Kirche kaufte das Haus 1995 für 32 Millionen Peseten, rund 190.000 Euro. Fünf Jahre später setzte sich ein Pfarrer dafür ein, dass Müllkippen in dem Viertel aufhören zu brennen. Gäste sind deswegen abgereist.
Würde heute jemand so etwas machen, Cati Riutort wäre sofort zur Stelle. Am höchsten Punkt des Viertels hält sie ihren Kombiwagen an, lehnt sich über eine Mauer, schaut ins Grüne. Ein paar Meter weiter trinken Jugendliche Cola aus Flaschen. Als Riutort im Schritttempo weiterfährt, stoppt sie neben den Männern. „Ihr nehmt euren Müll wieder mit, o.k.?”, sagt sie. Und erhält ein freundliches Nicken.