Folgen Sie uns F Y T I R

Plastik-Alarm an Mallorca-Stränden: Immer wieder seltsame weiße Kugeln im Sand

Man nennt die Objekte Nurdles: Wie Kunststoff-Pellets die Fauna bedrohen

Kaum zu unterscheiden: Drei Nurdle-Pellets (im Zentrum), flankiert von zwei weißen Muscheln auf Seetang am Strand | Foto: Verena Herzberger

|

Sie sind winzig, unscheinbar und doch ein riesiges, aber wenig beachtetes Umweltproblem: sogenannte „Nurdles”, kleine Kunststoff-Pellets, die kaum größer sind als eine Linse.

Bis vor wenigen Monaten hatte ich noch nie von ihnen gehört. Im vergangenen Sommerurlaub auf Mallorca habe ich sie dann selbst entdeckt. Helle, kleine Kügelchen in einer Bucht nahe Alcúdia. Ich hatte mir den Sand neben meinem Badehandtuch durch die Finger rieseln lassen. Zunächst dachte ich, ich hätte winzige Muscheln gefunden. Etwa eine Stunde später hatte ich auf rund zwei Quadratmetern 262 Kunststoff-Pellets zusammengesucht. Entsetzt stellte ich fest, dass der gesamte Strand von Ihnen übersät war und doch hat Sie wahrscheinlich kaum einer der vielen Badenden überhaupt wahrgenommen.

Da ich Sie aber nun selbst einmal wahrgenommen habe, begegnen Sie mir häufig wieder. Vielleicht nimmt aber auch das Problem beständig zu. Während meines aktuellen Herbsturlaubes habe ich den letzten November-Tagen „Nurdles” an zwei Strandabschnitten von Cala Millor und in einer Bucht bei Cales de Mallorca gefunden. Diesmal war nicht der komplette Strand betroffen. Die Wellen hatten aber durchgehend eine feine Linie von Meeresalgen angespült, durchwirkt von geschreddertem Plastikabfall und unzähligen kleinen weißen Kügelchen.

Laut dem Wirtschaftsverband PlasticsEurope, wurden 2023 weltweit 414 Millionen Tonnen Kunststoff produziert. Als Rohmaterial wird dieser Kunststoff in der Regel als Granulat vertrieben. Hersteller aus der Kunststoffverarbeitung schmelzen die Pellets später ein, färben und formen sie zu all den Dingen, die uns im Alltag selbstverständlich erscheinen: Verpackungsmaterial, Spielzeug, Automobilteile, Kleidung und unendlich vieles mehr.

Doch bevor aus den Kügelchen ein fertiges Produkt wird, gehen viele von ihnen verloren. Beim Beladen von Containern, beim Transport mit Lastwagen oder Schiffen, beim Umfüllen in Fabrikhöfen – überall können die „Nurdles” entweichen. Schätzungen gehen davon aus, dass jährlich über 400.000 Tonnen in die Natur gelangen. Es könnten weniger sein, es könnten viel mehr sein. Da der Schwund nicht systematisch erfasst wird gibt es keine verlässlichen Angaben.

Verlässlich kann man jedoch nachvollziehen: Einmal in der Umwelt, verbreiten sich die Kunststoffkügelchen über Flüsse bis ins Meer. Dort treiben sie an der Oberfläche, sinken in Sedimente oder werden an Strände gespült. Viele Küstenregionen weltweit kennen inzwischen das gleiche Bild: feinster Sand, durchsetzt mit unzähligen weißen, gelben oder transparenten Plastikpunkten. Nach großen Schiffsunfällen mit Containerverlusten waren Strände in Europa, Asien und Südamerika zeitweise vollständig mit Pellets bedeckt.

Pellets enthalten Weichmacher

Für die Tierwelt sind Nurdles weit mehr als nur ein ästhetisches Ärgernis. Zahlreiche Meerestiere – Fische, Seevögel und Schildkröten – halten die Pellets für Nahrung. Sie verschlucken sie und können an blockierten Verdauungstrakten oder inneren Verletzungen sterben. Hinzu kommt ein chemisches Risiko: Pellets enthalten häufig Zusatzstoffe wie Stabilisatoren oder Weichmacher. Außerdem ziehen sie im Wasser Schadstoffe an wie ein Magnet. Gelangen diese belasteten Kügelchen in die Körper von Meeresorganismen, können sie hormonelle Störungen, Fortpflanzungsprobleme oder eine verringerte Überlebensrate verursachen – mit langfristigen Folgen für ganze Ökosysteme. Die Verschmutzung hat sich längst zu einem Problem entwickelt, das bis in unsere Nahrungskette hineinreicht.

Fachleute und Umweltinitiativen fordern deshalb strengere Vorschriften für den Umgang mit Kunststoffpellets in der Industrie: geschlossene Fördersysteme, Schulung der Mitarbeiter, Auffangwannen, regelmäßige Leckagekontrollen von Anlagen und eine lückenlose Dokumentation. Auch schnellere Reaktionen nach Unfällen wären entscheidend, damit sich Kunststoffgranulat nicht in großen Mengen in Ökosystemen verteilt.

Ich bin nun immer ein bisschen traurig, wenn ich an Mallorcas Stränden entlanglaufe. Die Kügelchen sind gekommen und werden sehr sehr lange bleiben. Die Trauer ergreift mich aber nicht nur auf dieser wunderschönen Insel, sondern auch bei mir zu Hause an den Flussrändern von Rhein und Main. Seitdem mir die Kunststoff-Linsen begegnet sind, spreche ich über sie. Jeden meiner Funde melde ich bei der schottischen Umwelt-Organisation Fidra. Sie betreibt die Webseite „The Great Nurdle Hunt” (www.nurdlehunt.org.uk) . Innerhalb von zwei Minuten kann man dort mit dem Smartphone Sichtungen melden, Fotos hochladen und so zu einer besseren Datenbasis beitragen, auch um gegebenenfalls Strömungsverläufe nachzuvollziehen, Verursacher festzustellen und politischen Druck aufzubauen. Die Nurdle-Hunt-Weltkarte mit Stecknadeln auf allen Fundstellen ist erschreckend anzuschauen.

Von jedem Strandbesuch nehme ich ein bisschen fremden Müll und neuerdings Plastikkügelchen mit nach Hause. Unsere Ur-Ur-Urenkelkinder und viele weitere nachfolgende Generationen werden das auch noch tun können.

Zum Thema
Meistgelesen