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Der Fall Le Senne

Er zerriss ein Foto: Gericht lässt Anklage wegen Hassverbrechen gegen Parlamentspräsidenten auf Mallorca zu

Hintergrund ist ein Eklat während einer Plenarsitzung, als Le Senne im Zuge der Debatte über die Abschaffung des Gesetzes zur historischen Erinnerung ein Bild der Bürgerkriegs-Ikone Aurora Picornell zerriss

Der rechtspopulistische balearische Parlamentspräsident Gabriel Le Senne | Foto: T. Ayuga

| Palma, Mallorca |

Die Kontroverse um Gabriel Le Senne, den Präsidenten des Balearen-Parlaments und Mitglied der rechtspopulistischen Partei Vox auf Mallorca, nimmt eine neue Dimension an: Das Landgericht hat entschieden, dass sich Le Senne wegen eines möglichen Hassverbrechens vor Gericht verantworten muss. Damit wird er als erster amtierender Parlamentspräsident des Archipels auf der Anklagebank Platz nehmen – ein beispielloser Vorgang in der jüngeren Politikgeschichte der Insel.

Hintergrund ist ein Eklat während einer Plenarsitzung im Juni 2024, als Le Senne im Zuge der Debatte über die Abschaffung des Gesetzes zur historischen Erinnerung gleich zwei sozialistische Abgeordnete des Saals verwies – darunter seine eigene Vizepräsidentin Mercedes Garrido. In einem inzwischen viel diskutierten Moment riss er zudem ein Bild der Bürgerkriegs-Ikone Aurora Picornell von Garridos Laptop – eine Szene, die landesweit für Empörung sorgte.

Die sozialistische Opposition sprach damals von einem "Akt ideologisch motivierter Gewalt". Organisationen wie Memòria de Mallorca, Angehörige von Opfern des Franco-Regimes und die Initiative Estimada Aurora erstatteten Anzeige. Nun sieht das Gericht genügend Anhaltspunkte, um den Fall zur Hauptverhandlung zuzulassen.

Gericht: Immunität schützt nicht vor allem

Le Senne hatte versucht, sich mit Verweis auf seine parlamentarische Immunität zu verteidigen – erfolglos. Das Gericht stellte klar: "Die Immunität schützt nicht bei Überschreitung der Kompetenzen." Vielmehr müsse geprüft werden, ob sein Verhalten als institutionelle Handlung oder als vorsätzliche Demütigung der Opfer des Franco-Regimes zu werten sei. Auch Le Sennes Argument, er habe lediglich für Ordnung sorgen wollen, überzeugt das Gericht nicht: Die Bilder zeigten eine "wütende und entschlossene" Handlung, die mit strafbarer Absicht vereinbar sein könnte.

Linke Opposition will Amtsenthebung erneut forcieren

Nach der Entscheidung des Gerichts will die linke Opposition im Parlament nun einen neuen Anlauf unternehmen, um Le Senne sowohl das Amt des Parlamentspräsidenten als auch das Abgeordnetenmandat zu entziehen. Parteien wie das Més (Grünregionalisten) und Podemos (radikale Linke) haben angekündigt, den in Artikel 9 des Parlamentsreglements vorgesehenen Mechanismus zu aktivieren. Dieser erlaubt den Entzug aller parlamentarischen Rechte, sobald ein offizieller Beschluss zur Eröffnung eines Strafprozesses vorliegt – was jetzt der Fall ist. Notwendig ist nun eine absolute Mehrheit im Plenum.

Més hat Le Senne bereits öffentlich aufgefordert, freiwillig zurückzutreten, um einem solchen Verfahren zuvorzukommen. Doch Le Senne zeigt sich bislang unbeeindruckt und pocht auf seine Unschuldsvermutung. "Ich bin weiterhin durch das Recht auf ein faires Verfahren geschützt", ließ er verlauten.

Ein früherer Versuch der Opposition, Le Senne aus dem Präsidentenamt zu drängen, scheiterte im Herbst 2024 knapp. Damals enthielt sich die konservative Partido Popular – obwohl Le Senne nur dank ihrer Stimmen im Amt war. Die nötige Drei-Fünftel-Mehrheit kam so nicht zustande. Doch nun könnten sich die politischen Kräfteverhältnisse im Lichte der strafrechtlichen Entwicklung verschieben.

Ein Symbol mit Sprengkraft: Aurora Picornell

Die zerstörte Fotografie zeigt keine Unbekannte: Aurora Picornell gilt auf Mallorca als Symbol des antifaschistischen Widerstands. Die junge Kommunistin wurde 1937 von Franquisten ermordet und in einem Massengrab verscharrt. Ihr Andenken ist auf der Insel tief verankert – entsprechend scharf fielen die Reaktionen auf den Vorfall aus. Die sozialistische spanische Parlamentspräsidentin und ehemalige balearische Ministerpräsidentin (2015-2023) Francina Armengol postete daraufhin ein Bild Picornells in ihren sozialen Netzwerken – ein Akt der Solidarität, dem Tausende folgten.

Ob es nun zu einem Schuldspruch kommt, bleibt abzuwarten. Klar ist: Der politische und gesellschaftliche Schaden ist bereits angerichtet – und der Druck auf Le Senne wächst.

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