Ungeachtet der fortschreitenden Massifizierung auf Mallorca haben Tourismusverbände und auch die Balearen-Regierung nichts dagegen, weitere Märkte zu erschließen. Ob aus Kanada oder aus Golfstaaten, dank neuer Direktflugverbindungen ab kommendem Jahr ab Montreal und Abu Dhabi dürften jede Menge Gäste aus anderen als den bislang üblichen Ecken der Welt nach Mallorca kommen. Und Werbung für das Eiland wird auf Messen weiterhin mit bisweilen irritierender Hingabe gemacht.
Stark bremsen oder gar total verhindern lasse sich die Veränderung der wichtigsten Branche Mallorcas und die damit verbundene Fortsetzung der Massifizierung nicht, ist Antoni Vives überzeugt. Der an der Universität Barcelona wirkende Tourismushistoriker äußerte gegenüber MM, dass es „immer mehr Proteste geben wird und dass die Arbeitsverhältnisse trotz steigender Mieten und anderer immer höherer Kosten immer prekärer werden”. Doch niemand könne Menschen einfach verbieten, auf die Insel zu kommen, erst recht nicht jenen, die in anderen EU-Ländern wie Deutschland wohnen.
Verschiedene Faktoren hätten dazu beigetragen, dass die Situation sei, wie sie nunmal sei: „Zunächst einmal war da die Politik in den 1990er-Jahren, den Flughafen immer größer zu machen und fast sämtliche Straßen auszubauen”, so Antoni Vives. Damit sei von Spanien selbst die Grundlage für die heute vielkritisierte Entwicklung gelegt worden. Der erste Golfkrieg habe den Wandel noch befeuert. „Hinzu kommen das Aufkommen der Billigfluggesellschaften wie Ryanair und des Internets.” In letzterem sei es bekanntlich für jeden möglich, sich anders als früher blitzschnell Informationen über sogar geheimste Ecken in Reisezielen zu beschaffen.
Während wenig informierte Mallorca-Touristen vor allem aus der unteren Mittelschicht oder der Arbeiterklasse ehe-dem streng getrennt von der autochthonen Bevölkerung ihren wohlverdienten Strand-Urlaub abgekapselt in Hotels über die Bühne brachten, habe sich durch die „Demokratisierung des Reisens viel vermischt”, so Antoni Vives. Jeder könne sich heute seine Reise zusammenstellen. Man fahre dann in öffentlichen Verkehrsmitteln, sorge dafür, dass diese oft überfüllt sind, kaufe in Supermärkten ein und okkupiere Bereiche der einheimischen Bevölkerung. „Ganze Stadtviertel wurden so verloren”, so Antoni Vives. Wobei diese Entwicklung dem Forscher zufolge eine globale und nicht auf Mallorca beschränkte sei.
Auch Arbeiter sind heute viel individualistischer
Die wenig bis gar nicht über ihr Reiseziel informierten Touristen, die sich wie Schafe herumführen lassen, gebe es zwar noch, aber sie würden immer weniger. „Der Kollektivismus weicht dem Individualismus, was früher als elitär galt, ist heute Mainstream.” Jeder wolle halt heutzutage sein an einem speziellen Ort wie der Caló des Moro geschossenes Selfie. Arbeiter seien inzwischen dermaßen individualistisch, dass auch sie – wenn ihnen danach sei – etwa einen schicken Brunch verspeisen wollen. So wie das noch bis in die 1980er- und 1990er-Jahre hinein den Angehörigen der Bourgeoisie vorbehalten gewesen sei. Es habe sich in den vergangenen Jahrzehnten nichts weniger als ein Markenwandel vollzogen, so Antoni Vives. Dazu gehöre, dass der traditionelle Hoteltourismus dem Residenztourismus in Zweitwohnungen oder -häusern zunehmend das Feld überlasse.
Zu der Entwicklung passe, dass die früher strenge Trennung zwischen günstigen Preisen für Einheimische und deutlich höheren Tarifen für Urlauber – „es war ein durch und durch standardisierter Konsumismus” – immer schneller verwässert werde, so Tourismushistoriker Vives weiter. In diesem Zusammenhang sei zu bedenken, dass immer mehr Menschen vier- oder sogar fünfmal pro Jahr verreisten, während man sich früher mit einem Jahresurlaub habe begnügen müssen.
Und so wurde das, was früher etwa positives für die Lokalbevölkerung gewesen sei, zunehmend zu einer Belastung, so Antoni Vives. Begrenzt werden könne dies nur, wenn die bisweilen alles andere als anheimelnden Herkunftsorte vieler Urlauber immer attraktiver gemacht würden. „Dann würde es weniger Anreize geben, ein Paradies zu suchen, in das man reisen will”, ist der Tourismushistoriker überzeugt.