Mit 82 Jahren sprudelt Gustavo Peñalver immer noch vor Kreativität. Mit seiner einzigartigen Bildsprache setzt er immer wieder neue farbenfrohe, skurrile Figuren in die Welt. Der Künstler wurde in Cartagena geboren, wuchs auf Mallorca auf, lebte zwei Jahrzehnte in Berlin, bevor er sich in Cala Rajada niederließ. Zum 50-jährigen Bestehen malte er dem Mallorca Magazin ein Jubiläums-Bild. Im Interview sprach Gustavo über seine Verbindung zu Berlin, den Deutschen und dem MM
Mallorca Magazin: Erinnern Sie sich noch, was Sie am 19. Juni 1971 gemacht haben?
Gustavo: Da hatte ich meine erste Ausstellung in Berlin. Das war auf Einladung des Berliner Senats, aber nicht im Juni, sondern im September, glaube ich. Ich hatte eine ziemlich große Ausstellung über drei Stockwerke im Rathaus Kreuzberg.
MM: War das Ihr erster Aufenthalt in Deutschland?
Gustavo: Ja, und als Erstes fiel mir der Flughafen Tempelhof auf. Ich fand ihn ziemlich klein für eine so große Stadt. Aber er war sehr gut organisiert, alles funktionierte dort schnell und reibungslos. Von dort holte mich der Feuilletonist und Schriftsteller Heinz Knobloch ab. Er fuhr mich drei Stunden lang in der Stadt herum, und ich war begeistert.
MM: Obwohl die Stadt 1971 noch nicht so schick war wie heute.
Gustavo: Es gab damals viele leere Grundstücke und verbrannte Häuser. Die Spuren des Krieges waren noch sichtbar. In einem Kino neben der zerstörten Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche wurden jeden Sonntagvormittag Dokumentarfilme über die letzten Kriegstage Berlins gezeigt. So erfuhr ich, wie sehr diese Menschen leiden mussten. Trotzdem gefiel mir von Anfang an die Atmosphäre in Berlin. Das ist jetzt 50 Jahre her, und die Zeit vergeht nicht, sondern wir vergehen.
MM: Feiern Sie Ihr 50-jähriges Berlin-Jubiläum?
Gustavo: Ja, mit einer großen Retrospektive in der kommunalen Galerie Schloss Biesdorf in Berlin. Sie wird am 28. November in sieben Sälen eröffnet, und in etwas mehr als drei Monaten werden 30.000 bis 35.000 Besucher erwartet. Meiner Tochter Bettina wurde gesagt, dass ich sehr beliebt sein muss, weil sich schon jetzt ständig Anrufer nach der Ausstellung erkundigen.
MM: Sie sind bekannt für die kuriosen Titel Ihrer Bilder. Wie ist diese Ausstellung überschrieben?
Gustavo: Einfach „Gracias Berlín!“, und zwar auf Spanisch. Ich habe noch nie einen so kurzen Ausstellungstitel gehabt. In den 20 Jahren, die ich in Berlin gelebt habe, erfuhr ich immer eine Solidarität und ein Interessen an meinem Schaffen. Wie viele Leute kamen beim Künstlerhaus Bethanien vorbei, um zu sehen, was ich gerade machte! Ich machte dort alles, Bücher, Poster für jegliche Ausstellung, Kataloge, Flyer, Serigrafien. Und ich habe fast in ganz Deutschland ausgestellt.
MM: Wie finden Sie es, dass Ihr 50-jähriges Berlin-Jubiläum und das 50-jährige Bestehen des Mallorca Magazins zusammenfallen?
Gustavo: Das kam mir schon ein paar Mal in den Sinn und ich sagte mir: Guck an, diese Leute waren mir immer sympathisch! Ihr habt immer viel Interesse für mich und mein Werk aufgebracht, habt meinen 80. Geburtstag sogar auf die Titelseite genommen. Das heißt, ihr habt außergewöhnliche Dinge mit mir gemacht.
MM: Wie haben Sie das Mallorca Magazin kennengelernt?
Gustavo: Durch Wolfram Seifert, den damaligen Chefredakteur. Ich weiß nicht mehr, wo wir uns kennenlernten, aber von Anfang an interessierte er sich für meine Malerei. Ich kam dann mit dem einen oder anderen Mitarbeiter in Kontakt. So wuchs meine Freundschaft zu den Redakteuren.
MM: Also hat MM nicht nur Sie begleitet, sondern auch Sie das Magazin.
Gustavo: Wenn ich anrief, kümmerten sich die Redakteure immer gleich. Sie waren immer sehr bescheiden und vor allem sehr schnell. Das ist sehr deutsch, und da ich auch sehr deutsch bin – doch, doch, die Deutschen sagen mir immer: „Wir haben dich germanisiert.“ Ich heiße ja auch Gustavo, also quasi Gustav. Schon meine Mutter verzweifelte, weil bei mir immer alles an seinem Platz war. Ich habe seit jeher Ordnung gehalten, mental wie physisch. Und ich bin sehr froh, dass das Mallorca Magazin nach 50 Jahren viel erreicht hat, manchmal unter großen Schwierigkeiten, aber immer mit mehr Bescheidenheit als manch andere Leute, die ihre Nase hoch halten und meinen, die Intellektuellen zu sein.
MM: Wie sehen Sie das Mallorca Magazin heute?
Gustavo: Ein Kultusminister in Deutschland sagte mir in den 80er-Jahren: „Sie brauchen kein Museum, Sie sind ein Maler des Volkes.“ Das stieß mir erst bitter auf, aber mit der Zeit fühlte ich mich geehrt. Und so, wie die deutschsprachige Publikation einer anderen Zeitungsgruppe einen auf intellektuell macht, seid ihr vergleichbar mit dem, was der Kultusminister mir damals sagte: Ihr seid ein Medium des Volkes und habt ganz viele Leute glücklich gemacht, die nach Mallorca kamen und nichts hatten, was sie auf Deutsch lesen konnten.
MM: An Ihrem Bild gefällt mir besonders die Kerze auf der Nase der Figur.
Gustavo: Das entspricht dem, was man in Deutschland mit „Halt die Ohren steif!“ meint.
MM: Dann wollen wir die Kerze am Brennen halten.
Gustavo: Weitere 50 Jahre!
Die Fragen stellte Martin Breuninger.