Im Rahmen des „Sinfonischen Sommers“ gibt’s am morgigen Samstag als Hauptwerk die 3. Sinfonie von Ludwig van Beethoven, die „Eroica“. Ich möchte Ihnen das Werk vorab ein wenig nahebringen.
Bereits mit den ersten beiden Akkorden ist der Hörer mitten im sinfonischen Geschehen: Es-dur, forte, volles Orchester. Zwei Peitschenhiebe, die „die Förmlichkeit des 18. Jahrhunderts zerschmettern.“ (Leonard Bernstein in „Von der unendlichen Vielfalt der Musik“, 1967) - Die Zeichen stehen auf Aufbruch, Aufbruch in ein neues Zeitalter; 1802 ist Napoleon dabei, Europa umzugestalten. Die Revolution mit ihren Schlagworten „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ fegt wie ein Sturm über den Kontinent und reißt auch Kunst, Literatur und Musik empor in eine Sphäre der Unabhängigkeit und des freien Willens. Zwei Peitschenhiebe zertrümmern die Verbindlichkeiten des Rokoko und stellen die Weichen für die 689 Takte, die ihnen folgen: neuartig, vehement, pathetisch, emotional, beschwörend ist die Sprache dieser Musik; unkonventionell, von riesigen Dimensionen ist bereits der erste Satz.
Das Erstaunlichste ist die Einfachheit des musikalischen Materials, aus dem Beethoven diese Heldensinfonie wie ein Architekt Takt für Takt „baut“. Das Thema ist die Einfachheit selbst, eine nackte Tatsache, aus der Beethoven mit nie dagewesener Kühnheit ein komplexes sinfonisches Gewölbe errichtet. Die musikalische Entwicklung steckt voller Überraschungen. Die erste erwartet uns bereits in Takt sieben: ein Cis, gewiss die letzte Note, die man hier erwartet hätte. Aber sie „wirft den ersten neuen Lichtstrahl auf das Grundmaterial der vorangegangenen Takte“. (Bernstein)
Die nächste Überraschung ist eine dynamische. Das Dreiklangthema des Anfangs fällt abrupt ins Piano zurück. Und der nächste Schock lässt nicht lange auf sich warten: schroffe Akzentverschiebungen stören das eins-zwei-drei des ¾-Taktes empfindlich. - Spätestens jetzt würde in einer herkömmlichen Sinfonie die Überleitung zum zweiten Thema stattfinden. Aber der Gigant Beethoven beschenkt den Hörer mit nicht weniger als drei durchschlagkräftigen Überleitungsideen, jede bedeutend genug, um als eigenständiges Thema gelten zu können. Dann endlich erklingt das zweite Thema, sehnsuchtsvoll, zart.
Ich habe nicht vor, Ihnen den Satz entlang des Sonatensatzprinzips Takt für Takt zu erklären. Das ist auch gar nicht nötig für die Erkenntnis, dass die Musik den Kampfgeist und die Auseinandersetzung mit dem musikalischen Material weiterträgt. Die gewaltigen Kriegsrufe erkennen Sie auch ohne Detailanalyse. Die frischen Elemente, mit der Beethoven den musikalischen Duktus bereichert, werden Ihnen nicht entgehen, ebensowenig wie die schroffen Dissonanzen, die Beethoven bildet. Wenn Sie genau hinhören, werden Sie auch feststellen, dass Beethoven immer wieder neues „Material“ einfügt, das dann das bereits Gehörte in ein neues Licht taucht. – In diesem Satz ist alles größer, ausgebreiteter, länger und vehementer als in sämtlichen Sinfonien, die davor geschrieben wurden.
Und diese ungeheure Größe setzt sich im zweiten Satz fort, im großen Trauermarsch, der trotz des langsamen Zeitmaßes vorwärtsdrängt, bis zu jenen gewaltigen Akkorden, die – so hat es einmal ein Kritiker formuliert – die Majestät des Todes erahnen lassen. Das eigentliche Trauermarsch-Thema erscheint – in wechselnder Gestalt – viermal, unterbrochen von einem Mittelteil in Dur. Am Schluss „zerfällt“ die Marsch-Melodie geradezu vor den Ohren des Zuhörers in Fragmente, „wie die Rede eines Menschen, der, vom Schmerz übermannt, nur mit Mühe und um Atem ringend weitersprechen kann.“ (Bernstein)
Nach diesen beiden großartigen Sätzen ist – nicht einmal bei Beethoven – noch eine Steigerung möglich. Das kurze Scherzo, also der dritte Satz, gönnt dem Hörer vielmehr eine Erholung von den aufwühlenden Ereignissen des Kopfsatzes und des gigantischen Trauermarsches. Der Anfang ist überaus lebendig (Allegro vivace), das Trio, der Mittelsatz, basiert auf einer Hornfanfare, weit entfernt von einer einfachen Jagdfanfare; nein, bei Beethoven muss auch sich so etwas im Grunde Einfaches buchstäblich zum Himmel emporschwingen.
Das Finale beginnt fortissimo und furios. Das Thema, das dieser Raserei folgt, ist wieder - typisch Beethoven – von äußerster Einfachheit, ein fast trivialer Gedanke, der zaghaft im Pizzicato vorgetragen wird. Aber dann! In Variationen entwickelt sich eine blühende Melodie, gestützt von den vier Tönen des simplen Grundgedankens. Der Satz bleibt – formal – zwar ein Variationssatz, aber jede der Variationen wird zu etwas Neuem, Außergewöhnlichem. Dann noch einmal eine Fuge, die sich bis zur Ekstase steigert. Man erwartet jetzt das Ende. Aber Beethoven ist immer noch nicht bereit, Schluss zu machen: nach einem (vorläufigen) Verhallen, das fast wie ein Vakuum wirkt, stürzt plötzlich das wilde Eröffnungsmotiv wieder herein, nicht wütend wie am Anfang, aber mit aller Lebenskraft, die ihm innewohnt. Es „jagt alle Wolken und Schatten, die Melancholie und die Traurigkeit, den Kampf und die Finsternis hinweg und hellt die Luft für die brillante, freudige Coda auf, welche dieses Heldenwerk beschließen wird.“ (Bernstein)
Bei YouTube können Sie Leonard Bernstein mit einer kurzen Einführung in die Eroica erleben: https://www.youtube.com/watch?v=CNyla5QfN-Y
Zum Einhören gibt’s dort auch (als Audio) die komplette Sinfonie mit den New Yorker Philharmonikern unter der mitreißenden Leitung Bernsteins:https://www.youtube.com/watch?v=0AQ4ATAvAcU