Der gefragte Gastdirigent Marcus Bosch ist auf Mallorca kein Unbekannter. Am kommenden Freitag (14.04., Trui Teatre) kehrt er ans Pult der Sinfoniker zurück, mit Wagners „Walküre“, aus der er unter anderem den ersten Akt konzertant auf die Bühne bringt. Ich traf ihn zum Gespräch nach der ersten Probe in der „Sonoteque“ in Palma.
Martin H.Müller: Herr Bosch, schön, dass Sie sich Zeit nehmen. Sie sind ja nicht zum ersten Mal bei unserem Sinfonieorchester zu Gast. Letztes Jahr haben Sie mit dem jungen Geiger Stephen Waarts Korngolds Violinkonzert aufgeführt, auch Ihre „Rosenkavalier“-Suite ist mir noch in guter Erinnerung. Was zieht Sie zu diesem Orchester?
Marcus Bosch: Inzwischen vieles. Ich habe das Orchester vor vielen Jahren zum ersten Mal dirigiert, mit dem „Orpheus“, in einer Kirche. Dann ist die Verbindung zunächst wieder erloschen, aber dann kam’s, dass wir uns hier eine zweite Heimat aufbauen wollen, dazu kam die Bekanntschaft mit Pablo (Anmerkung: gemeint ist Pablo Mielgo, der Chefdirigent der Sinfoniker). Unsere beiden Frauen stammen zwei Dörfer entfernt voneinander, die beiden sind mit 17 zusammen auf der Bühne gestanden und haben sich hier wieder getroffen. Das Orchester hat sich in der Zwischenzeit enorm entwickelt. Ich habe es vor allem während der Pandemie oft gehört und war sehr beeindruckt von dem, was das Orchester hier leistet und was Pablo hier leistet.
MHM: Er hat ja das Orchester zu dem gemacht, was es heute ist.
MB: Ja, genau, deshalb sag ich’s ja. Die Projekte, die wir gemeinsam hatten, waren von großer gegenseitiger Zuneigung geprägt, ich fühle mich sehr wohl hier und gut aufgenommen.
MHM: Sie haben gerade hier in diesem Tonstudio geprobt. Das wird sich ja bald ändern, wenn das neue Konzerthaus fertig ist, in dem dann sicher auch die Proben stattfinden.
MB: Ja, das ist natürlich fantastisch für das Orchester, und ich kann da nur all denen gratulieren, die es geschafft haben, alles zu organisieren und durchzuziehen. Das ist für die Insel und das Orchester ein großer Gewinn.
MHM: Ich habe mir neulich die Baustelle mal angeguckt…
MB: …ich auch.
MHM: Herr Bosch, ich habe mir Ihre umfangreiche Diskografie mal angeschaut. Da sind sehr viele Romantiker dabei, Brahms, Bruckner, Dvorak. Würden Sie sagen, Romantik ist der Schwerpunkt Ihres Interesses?
MB: Nein, das würde ich nicht sagen. Klar, die Bruckner-Aufnahmen haben internationale Aufmerksamkeit erregt und zu Einladungen nach Japan geführt. Und dann wurde ich eine Zeitlang so gesehen. Es gibt auch Händel in meinem Repertoire, ich habe den Händel-Preis gewonnen, und ich habe auch sehr viel Neue Musik gemacht. Ich bin so einer aus der alten Gattung der Generalisten. Zu Hause fühle ich mich vom Barock bis zur Moderne. Und ich freue mich, dass ich jetzt international viel fürs deutsche Repertoire gefragt bin. – Ich sehe das durch eine schlanke Brille. Wenn man hört, was von Karajans Hochglanz-Ästhetik sich immer noch erhalten hat, und wenn man dann zu dem zurückgeht, was zum Beispiel Wagner selbst gesagt hat – „wenn man die Stimmen nicht hört, dann spielt pianissimo, auch wenn ich fortissimo in die Partitur geschrieben habe“ – dann kommt man wo ganz anderes hin! Ich sehe die Dinge sehr von der historischen Seite her.
MHM: Nun ist Wagner ja nicht gerade der Hauskomponist der Mallorquiner, und ich könnte mir denken, dass er auch für das Orchester neu ist. Mir fällt dazu eine Geschichte ein, die Leonard Bernstein immer wieder erzählt hat: als er mit den Wiener Philharmonikern zum ersten Mal Mahler geprobt hat, sei diese Musik bei den Musikern gar nicht gut angekommen, einige hätten sogar hinter vorgehaltener Hand etwas von „Scheiß-Musik“ gemurmelt. Könnte es hier mit Wagner nicht ähnlich sein?
MB: Möglicherweise ja. Und natürlich ist das ein großes Paket, das wir hier gerade stemmen. Aber was ich vom Orchester zurückbekomme, geht eher in die Richtung „sauschwer, wahnsinnig viele Noten, aber wunderschöne Musik“!
MHM: Das heißt, das Orchester frisst Ihnen den Wagner aus der Hand?
MB: Das Orchester muss zunächst einmal viele Noten fressen, bevor es dem Dirigenten aus der Hand frisst. Aber ich hoffe, dass wir dahin kommen, dass wir uns gegenseitig aus der Hand fressen.
MHM: Ich habe das Vorwort im Programmheft zu Ihren Heidenheimer Opernfestspielen gelesen. Da bringen Sie sehr schön zum Ausdruck, was Sie mit Ihrer Repertoireauswahl beim Publikum rüberbringen wollen, Ihre message sozusagen. Was würden Sie den Zuhöreinnen und Zuhörern am kommenden Freitag denn gern mit auf den Weg geben wollen?
MB: Ich wusste natürlich schon, dass es für viele eine Entdeckungsreise werden wird, auch fürs Orchester. Zum Glück haben die Sänger alle etwas mit der Insel zu tun. Deshalb haben sie ja gesagt. Der Michael Volle musste leider krankheitsbedingt absagen…
MHM: …das ist aber schade!
MB: Aber die Sopranistin lebt hier auf der Insel, ebenso Daniel Kirch. Der erste Gedanke war, die Inselkünstler mit dem Orchester zusammenzubringen. Und dann ist natürlich der erste Akt so ne schöne Geschichte. Aus der Keimzelle des Sturmes am Anfang und der Liebesszene am Schluss wird schließlich Siegfried gezeugt, als Frucht einer verbotenen Liebe, einer Geschwisterliebe. Und dann am Schluss die Szene, wo der Vater von seiner Lieblingstochter Abschied nehmen muss. Und dann der Schönberg dazwischen (Anmerkung: Begleitmusik zu einer Filmszene, op.34), den es ohne Wagner so nicht geben würde. Das ist zwar Zwölftonsprache, aber dennoch eines der am leichtesten zugänglichen Stücke von Schönberg, keiner muss Angst haben, das nicht zu verstehen, das kann man wirklich als Filmmusik hören. Und dann Wotans Abschied am Schluss, mit dem Feuerzauber, das ist eine der schönsten Musiken, die je geschrieben wurden. Also, wo ist die message? Ich würde sagen: einen Teil der schönsten Musik auf die Insel zu bringen!
MHM: Wunderbar! – Wagner wird ja oft als Wegbereiter der Moderne gesehen. Mir geht’s so, dass ich am Anfang der Walküre immer ein Stückchen Steve Reich oder Philipp Glass zu hören glaube, Minimalismus also.
MB: Also aus der Keimzelle Wagner, wenn man das so nennen darf, ist ja vieles rausgewachsen. Und wenn Sie das so sagen, der Sturm am Anfang ist wirklich mit den Mitteln der minimal music gemacht.
MHM: Wagner hat sich selbst als politischer Künstler gesehen. Und wie politisch man ihn im 20.Jahrhundert aufführen konnte, wissen wir spätestens sei dem „Jahrhundert-Ring“ von Patrice Chereau 1976 in Bayreuth. Glauben Sie, dass auch das Konzert am Freitag eine politische Botschaft enthält?
MB: Also in der Planung hat es jedenfalls keine gehabt. Der Anfang und der Schluss der Walküre sind zutiefst menschlich. Wagner zeigt hier extremste Beziehungen zwischen Menschen. Und die sind allgemeingültig, egal, in welchem politischen System, egal mit welcher Liberalität sie eingeordnet werden. Ich glaube, mit der Auswahl dieser Szenen, mit Schönbergs Lichtspielszene in der Mitte, ist die message, wie extrem Beziehungen sein können, und zu was sie führen können. Und die Musik führt in Bereiche, aus denen die ganze spätere Filmmusik kommt, die ganzen „Star Wars“-Filme und viele andere mehr. Die sind alle von der „Ring“-Tetralogie inspiriert, ohne Wagner gäbe es sie nicht.
MHM: Jetzt hat ja Wagner neue Instrumente ins Orchester mit reingenommen, Wagner-Tuba, Wagner-Glockenspiel und so weiter. Haben Sie die hier zur Verfügung?
MB: Klar. Sonst hätten wir’s nicht gemacht.
MHM: Ich möchte nochmal auf die Auswahl der „Walküre“ zu sprechen kommen. Für viele Mallorquiner ist das wohl eine Einstiegsdroge in Sachen Wagner. Provozierende Frage: Hätten sich da nicht eher der leichter fassbare „Lohengrin“ oder der „Holländer“ angeboten?
MB: Mag sein. Aber der Anfang der “Walküre“ ist sowas von bildhaft, ähnlich wie die Sechste von Beethoven. Und weil sich alles auf drei Sänger konzentriert, kann man es gut konzertant machen, was bei „Lohengrin“ nicht ohne weiteres möglich wäre. Und Wotans Abschied ist eines der Highlights der Operngeschichte. Ich hoffe jedenfalls, dass ganz viele Mallorquiner es so erleben, wie Sie’s gesagt haben: als Einstiegsdroge.
MHM: Eine kurz Frage noch zur Akustik der drei Spielstätten in Palma. Welche halten Sie für die beste?
MB: Ganz klar das Trui Teatre.
MHM: Dann freuen wir uns, dass wir Sie mit Wagner dort erleben dürfen. Herr Bosch, vielen herzlichen Dank für Ihre Zeit. Einen schönen Tag noch!
MB: Ihnen auch!