SAD am Swimmingpool
"Saisonal abhängige Depression": Wenn der Sommer die Seele krank macht
Hätte ich über dieses Thema vor ein paar Jahren geschrieben, hätte ich vermutlich gar nicht nachvollziehen können, um was es geht. Nachdem ich aber nun bereits mehrfach das Vergnügen hatte, den Sommer auf Mallorca erleben zu dürfen, kann ich sagen, dass ich mich in nicht wenigen Punkten wiederfinde. Es gibt Tage, an denen ich einfach nicht mehr wollte: Weder den ersten Blick aus dem Fenster nach dem Erwachen in einen verheißungsvollen, blauen Himmel ohne ein einziges Wölkchen, noch das Gefühl bei den ersten Schritten auf dem Fliesenboden vergessen zu haben, die (nicht mal vorhandene) Fußbodenheizung auszuschalten. An solchen Tagen wusste ich schon auf dem Weg ins Bad, dass ich schwitzen würde, und zwar nicht zu knapp. Ich wusste, dass meine Hauptbeschäftigung darin liegen würde zu versuchen, schneller Flüssigkeit zuzuführen, als sie durch sämtliche Poren wieder abzugeben, quasi zu verdampfen.
Dass der Sommer mit seinen Hitzewellen nicht nur körperlich anstrengend ist, sondern auch die Psyche herausfordert, habe ich spätestens in diesen letzten Monaten erlebt. Es geht sogar so weit, dass es psychische Folgen geben kann, die gleichzusetzen sind mit den Auswirkungen der SAD (Saisonal abhängige Depression), die man bisher eher in der dunklen Jahreszeit verortet hatte. Die SAD gilt gemeinhin als Winterdepression und ist eine meist rezidivierende (wiederholt auftretende), affektive (auf die Gefühle bezogene) Störung, die saisonal auftritt. Klinische Symptome einer Depression zeigen sich dabei besonders häufig im Herbst und Winter. Im Frühling oder Sommer findet meistens eine vollständige Remission statt. Neben den klassischen depressiven Anzeichen, wie gedrückter Stimmung und Antriebsarmut, gibt es hier auch untypische Symptome wie ein erhöhter Schlafbedarf oder eine vermehrte Lust auf kohlenhydratlastige Lebensmittel in Form von Süßigkeiten, häufig auch mit Gewichtszunahme. Die Ursachen für eine Winterdepression sind bisher nicht abschließend geklärt. Vermutet wird unter anderem, dass die längeren Dunkelphasen und somit weniger Tageslicht im Winter dazu führen, dass der Körper mehr Melatonin (das sogenannte Schlafhormon) produziert, was wiederum Müdigkeit verstärkt. Darum wird zur Behandlung einer SAD unter anderem eine Lichttherapie mit regelmäßiger Bestrahlung nach dem Aufwachen empfohlen.
Genau diese Lichtzufuhr (verbunden mit großer Wärm) ist aber genau das, was einige Menschen im Sommer überhaupt nicht mögen. Es wäre vermessen, hier nur von "Summer Blues" oder "Summertime Sadness" zu reden. Bei einigen Menschen handelt es sich tatsächlich um eine behandlungsbedürftige, saisonal-bedingte, affektive Störung, der Sommer-SAD (S-SAD). Diese beinhaltet in erster Linie Schlafstörungen, Appetitmangel und innere Unruhe. Es werden auch Gemütszustände wie Ärger, Wut und Aggressionssteigerung oder Gereiztheit durch das grelle Licht, die anhaltende Hitze und die Luftfeuchtigkeit beschrieben. Dabei ist die S-SAD-Symptomatik sehr uneinheitlich. Dies führte bislang auch zu einer geringeren Entdeckungsrate im Vergleich zur Winter-SAD. Viele Menschen wissen demzufolge gar nicht, dass sie an einer S-SAD leiden.
In einigen Studien liest man vom Effekt hoher Temperaturen auf die psychische Gesundheit. Die Universität Cambridge beschreibt sogar das erhöhte Auftreten von Suiziden und subjektiven psychischen Beschwerden. In anderen Studien stellte man fest, dass die Reduktion der Temperatur durch Kühlung oder Klimaanlagen den negativen psychischen Folgen entgegenwirke. Dabei gibt es wohl auch große Unterschiede hinsichtlich des Alters der Betroffenen. In einer Studie konnte man sogar zeigen, dass ein Temperaturanstieg über 21 °C eine signifikante Verschlechterung des psychischen Erlebens in Form von Ärger, Wut und Stress mit sich brachte.
Was genau eine S-SAD auslöst, ist bis heute unklar. Eine weit verbreitete Hypothese besagt, dass durch die Tageslänge und die UV-Einstrahlung an Sommertagen die Produktion von Melatonin verringert wird, was zu einem Ungleichgewicht führt und uns nicht zur Ruhe kommenlässt.
Ein großer Unterschied zur Winterdepression ist: Während sich an trüben, kalten Wintertagen eine gedrückte Stimmung leicht erklären lässt, ist dies in der milden und hellen Jahreszeit auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar. Betroffene bekommen sogar eher ein schlechtes Gewissen, nach dem Motto: "Eigentlich könnte es mir gut gehen. Die Sonne scheint, wir haben schönes Wetter, alle sind glücklich. Was stimmt nicht mit mir?" Gleichzeitig kann der soziale Zwang, sich an diesem scheinbar perfekten Leben zu beteiligen, die Symptome verstärken und regelrecht inneren Widerstand auslösen. Dies wiederum führt zu vermehrtem sozialen Rückzug (manchmal auch, um sich von den sozialen Interaktionen zu erholen, denn diese können für Menschen mit einer Depression sehr anstrengend sein).
Klar ist, dass heiße Sommernächte für viele von uns nicht unbedingt erholsam sind. Darunter leidet auch die Schlafqualität. Dies gilt insbesondere in den Phasen, in denen die Hitze bis in die späten Abendstunden anhält und die Luft kaum abkühlt. Auch dieser Effekt des fehlenden erholsamen Schlafs wurde als eine weitere Erklärung für die S-SAD herangezogen. Dabei haben viele Forschungsarbeiten einen Zusammenhang zwischen Schlaf und Hirnfunktionen gezeigt.
Wie kann man nun einer solchen Sommer-Depression begegnen, wenn man den Verdacht hat, daran zu leiden? Der erste Weg sollte zum Hausarzt sein, um mögliche andere körperliche Auslöser auszuschließen. Dann wäre es sicher wichtig, sich weitestgehend in gekühlten Räumen aufzuhalten und vor allem auch während der Nacht für ein gutes Klima im Schlafzimmer zu sorgen. Sportliche Aktivitäten sollten in die frühen Morgenstunden verlegt und auf ein verträgliches Maß reduziert werden. Auch Yoga, progressive Muskelentspannung oder autogenes Training sind hilfreich. In Gesprächen mit einem Therapeuten können Sie lernen, wie Sie mental besser mit der herausfordernden Sommerhitze und ihren Beschwerden umgehen können. Auch wenn wir in diesem Jahr wohl das Gröbste hinter uns haben: Der nächste Sommer kommt bestimmt!