Wenn Küchenpsychologie eher schadet, als zu helfen
Es gibt nichts Besseres, als Freunde zu haben, die einem mit Rat und Tat zur Seite stehen. Ganz gleich, ob man Liebeskummer hat oder Probleme mit dem Chef, das Selbstwertgefühl mal wieder zu wünschen übrig lässt oder man sich über ein Familienmitglied ärgert: Sie wissen immer Rat. Sei es, dass sie über einen unerschöpflichen Vorrat an eigenen Erfahrungen verfügen, durch die Lektüre diverser Ratgeber-Bücher oder den Besuch entsprechender Selbsterfahrungs-Seminare einfach wissen, wo es lang geht. Klar, dass sie unsere erste Anlaufstelle sind, wenn wir uns seelisch überfordert fühlen. Und es kann so gut und hilfreich sein, dass sie uns zuhören, also mehr oder weniger, und nach kurzer, messerscharfer Analyse auch gleich die richtige Lösung parat haben.
„Du musst dich schützen, alle Männer sind gleich”, hört man da, wenn es um Beziehungsfragen geht. „Dein Chef ist sicher ein Narzisst!” ist eine gängige Erklärung für Schwierigkeiten mit Vorgesetzten. „Du musst Dich einfach selbst akzeptieren, Deinen Körper lieben, so wie er ist”, heißt es, wenn wir mal wieder vom letzten Einkaufsbummel erzählen, bei dem wir mit der Verkäuferin darüber diskutieren mussten, ob das Kleidungsstück der Wahl nun einfach zu eng sitzt oder „man das jetzt so trägt” und wir dann verzweifelt entschieden haben, dass jetzt endlich eine Diät angebracht wäre.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Diese Ratgeber-Freunde sind eine große Bereicherung und hoffentlich auch mit ihren Tipps und Ratschlägen auf unserer Seite. Aber, wie sagt der Volksmund so treffend, Ratschläge sind auch Schläge. Und das kann ein leichter Klaps sein, der uns wachrüttelt, zum Denken anregt oder aufmunternd ist, aber auch ein Faustschlag, der uns in den Magen trifft und die Situation für uns eher noch schlimmer macht. Es gibt nun mal nicht den einen richtigen Rat. Und selbst wenn die meisten Menschen auf eine bestimmte Art reagieren würden, heißt das noch lange nicht, dass das eine Regel ist, die für alle gilt. Wohl dem, der dann Ratgeber-Freunde hat, die, auch wenn wir uns anders entscheiden oder den Sachverhalt anders bewerten, an unserer Seite bleiben und nicht beleidigt abziehen.
Auch wenn Sie Ihre Probleme gerne mit entsprechender „Fachliteratur” bewerten oder die psychologischen Rubriken in Frauenzeitschriften Ihre liebsten Ratgeber sind, sollten Sie gut darauf schauen, ob diese Tipps und Hinweise auch wirklich für Sie persönlich hilfreich sind. Die Persönlichkeits-Tests in diesen Zeitschriften wie „Ist er der Richtige für mich?”, „Wie sage ich meiner Mutter, dass ich schon erwachsen bin?” oder „Wie erreiche ich alle meine Ziele in 43 Tagen?” sollten Sie eher spielerisch oder sogar kritisch bewerten. Wenn Sie das Ganze mit einem Augenzwinkern ausfüllen und nicht so ernst nehmen, warum nicht. Aber bitte erwarten Sie keine Ergebnisse, die Sie direkt erleuchten oder all Ihre Probleme lösen.
Der Psychologe Steve Ayan hat sieben Denkfehler der Küchenpsychologie, auch Populärpsychologie genannt, definiert. Er fasst gut zusammen, worauf man beim Konsum der vielen Ratgeber, Kurse und Apps achten sollte. Hier sind einige seiner Erkenntnisse: 1. Auf Patentrezepte hoffen. Es klingt so logisch: Es gibt ein Problem, da hilft dann auch nur eine ganz bestimmte Lösung. Der eine neue Trick, der schnell Abhilfe schafft. Bleiben Sie aber besser skeptisch, wenn Ihnen jemand so etwas verspricht. Am Ende warten dann eher Schuldgefühle, weil das vermeintliche Wundermittel bei Ihnen nicht wirkt, weil Sie etwas falsch gemacht haben. Weder Journaling (Tagebuchschreiben), noch Meditation, noch irgendein Kalender mit achtsamen oder weisen Sprüchen, sind die Lösung, wenn es um die Psyche geht. Und schon gar nicht ist es diese eine Denkweise, Atemtechnik oder Affirmation (positiver Glaubenssatz).
2. Große Worte, kleine Wirkung. Auch wenn manche Ratschläge durch gute Studien untermauert werden, bedeutet das noch lange nicht, dass der Effekt absolut ist. Kaum etwas wirkt sofort, langfristig und bei allen Menschen gleich. Also, auch wenn Ihnen in Büchern und Kursen Studien unter die Nase gehalten werden, sollten Sie Ihre Erwartungen mäßigen. In der Populärpsychologie wird immer wieder vereinfacht und übertrieben. Die Realität ist komplexer. Das bedeutet nicht, dass Studien keinen Wert haben, auch ich weise regelmäßig auf Ergebnisse aus der Forschung hin. Oft geht es aber eher um Tendenzen und Hinweise auf bestimmte Phänomene, nicht um die absolute Wahrheit.
3. Die Wissen-Können-Schere. Wenn Sie meine Kolumnen schon länger verfolgen, wissen Sie bereits einiges über Stressvermeidung und Achtsamkeit. Das bedeutet jedoch nicht, dass Sie all dieses Wissen in die Praxis umsetzen können müssen. Wir sind alle durch unsere Geschichte geprägt und durch Routinen wird unser Verhalten in gewisse Bahnen gelenkt. Auch meine Tipps machen das nicht ungeschehen. "Nur zu verstehen, dass man dieses oder jenes tun sollte, [...] ist oft weniger als die halbe Miete", so Ayan. Ärgern Sie sich also bitte nicht über sich selbst, wenn Sie nicht so gelassen durchs Leben surfen, wie Sie sich das wünschen. Dann noch mehr über Gelassenheit zu lesen, ist oft nicht die Lösung.
4. Anderen Betroffenen blind vertrauen. Viele Menschen, die Rat anbieten, haben selbst eine Leidensgeschichte hinter sich und fühlen sich dadurch förmlich berufen, anderen zu helfen. Durch ihre persönliche Krankheitsgeschichte werden Glaubwürdigkeit und Kompetenz suggeriert. Das ist aber pauschal so nicht richtig. Jeder Weg ist anders, jeder Mensch hat unterschiedliche Voraussetzungen und Möglichkeiten. Nur weil jemand ein ähnliches Problem schon gelöst hat, sind dessen Tipps nicht automatisch richtig und längst nicht immer gut für Sie. Darum: Bitte bleiben Sie skeptisch. Auch gegenüber meinen Ratschlägen in dieser Kolumne. Nur durch eine persönliche Begleitung ist es möglich, die für Sie richtige Lösungsansätze zu erarbeiten und Schritt für Schritt umzusetzen. Das macht eine hilfreiche Therapie, eine gute Begleitung, ein erfolgreiches Coaching aus.