„Spritzt nicht das Blut von Chopin in den Saal, damit das Pack drauf rumlatscht!“ - Als Gottfried Benn das (in seinem Gedicht „Nachtcafé“) 1912 forderte, war Chopin seit 63 Jahren tot. Und die Rezeption seiner Musik war eine andere geworden. Der literarische Expressionismus, den Dichter wie Benn, Georg Heym und Georg Trakl kreierten und vorantrieben, stellte Kultur, Lebensgefühl, Kunsterleben und vor allem den Geniekult des 19. Jahrhunderts (speziell in Literatur und Musik) generell in Frage. „Pack“ – damit sind nicht Sie und ich gemeint, Benn hatte eher das satte Bürgertum im Blick, die Herren mit der Wohlstandszigarre und die Damen im Nerz. Denn schon die Vokabel „Kunstgenuss“ hatte etwas Verdächtiges; der Maler Max Ernst, Zeitgenosse Benns, postulierte „Kunst hat mit Geschmack nichts zu tun, Kunst ist nicht da, dass man sie schmecke“. Und Bertolt Brecht hat später sein Publikum – und man kann dabei auch an das eines Chopin-Abends denken – aufgefordert: „Glotzt nicht so romantisch!“ Ein falscher Romantikbegriff (einer, der sich auf Kerzenlicht, Vollmondnächte und Sonnenuntergänge beschränkt) wird Chopin in der Tat nicht gerecht, weder seinen Nocturnes, Mazurken, Walzern, und schon gar nicht seinen beiden Klavierkonzerten, von denen wir am 30.11. das zweite erleben werden.
Das Orchester spielt bei Chopin keine große Rolle, zumindest ist sein Anteil am musikalischen Geschehen überschaubar. Für die Instrumentierung musste er sich überdies den Rat erfahrener Orchestermusiker einholen – sein Instrument war nun mal das Klavier, und nur das. Deshalb ist die Kritik an seinen insgesamt sechs Werken für Klavier und Orchester nie verstummt. Der amerikanische Kritiker Michael Walsh, der auch an den beiden Klavierkonzerten von Liszt kein gutes Haar ließ, meinte etwas herablassend, man müsse diese Konzerte eben „nehmen, wie sie sind, ähnlich wie die von Chopin“. Und trat noch gehässig nach: „Nur, die sind noch schlechter.“ Gönnen wir Mr. Walsh seine Meinung (in seinem Opernführer versucht er, den Lesern auch Rossini madig zu machen), nehmen sie nicht weiter ernst und schenken lieber Robert Schumann unsere Zustimmung. Der nämlich sah sich angesichts von Chopins erstem Werk für Klavier und Orchester, den Variationen über „La ci darem la mano“ aus Mozarts Don Giovanni, op.2, zu einem Urteil genötigt, das in die Geschichte eingegangen ist: „Hut ab, ihr Herren, ein Genie!“
Die beiden Klavierkonzerte entstanden wenig später, noch in Warschau. Die Nummer zwei, op.21, im Jahre 1829. Seltsamer Weise wird bis heute das 1830 komponierte Werk in e-moll als Nummer 1 geführt und trägt die Opuszahl 11. Frühe Kritiker heben den „gänzlich neuen Ton“ hervor, den das Klavier anschlägt. Und der begeistert bis heute weltweit das Publikum. Der filigrane Klaviersatz, die geschmackvollen Verzierungen, der virtuose Impetus – all das schlägt die Hörer seit nunmehr fast 200 Jahren in Bann. Außerdem enthält der Mittelsatz von op.21 ausgesprochen amouröse Anspielungen. Chopin schrieb in einem Brief darüber: „Ich habe schon, vielleicht zu meinem Unglück, mein Ideal (gemeint ist die Sängerin Konstantia Gladkowska), dem ich treu diene … und von dem ich immer träume, zu dessen Gedenken das Adagio in meinem Konzert entstanden ist.“ - Die Ecksätze sind mitreißend virtuos, ohne dass Chopin in banale Kraftmeierei verfällt. Und auch der Orchesterpart zeigt Wirkung. Lassen Sie sich vorab auf YouTube von Kristian Zimerman, der auch dirigiert, mit dem ersten Satz überzeugen. Als Video mit dem ganzen Konzert empfehle ich Ihnen die Aufführung des großen Chopininterpreten Artur Rubinstein unter der Leitung von André Previn. – Im Konzert wird der Pianist Iván Martin das Konzert spielen, am Pult steht Pablo Mielgo Karten gibt’s hier. – Eine Einführung in das zweite große Werk des Abends, Dvoraks 9.Sinfonie „Aus der Neuen Welt“, können Sie demnächst an dieser Stelle lesen.