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Konzertführer: Böhmische Indianerträume - Dvoraks Neunte am 30.11. im Trui Teatre

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Eins ist sicher: Winnetou stand weder Pate noch bei der Uraufführung am Dirigentenpult. Bei allen „Amerikanismen“, die op.95 aufweist, oder die man zumindest dingfest machen zu können glaubt, ist diese letzte und mit Abstand populärste Sinfonie von ihrer ganzen Anlage her, vom musikalischen Duktus, von der Instrumentation her ur-europäisch. Drücken sich Geist und Lebensgefühl, Geschichte und Flair der Neuen Welt tatsächlich durch das Orchester eines großen tschechischen Spätromantikers aus?

Gewiss: die Sinfonie ist in und für Amerika geschrieben worden. 1891 erhielt Dvořák ein Telegramm aus den Staaten mit einem Angebot, dass er meinte zu träumen. Er sollte Direktor des New Yorker Konservatoriums werden, zu sensationellen Bedingungen: 15.000 Dollar für nur acht Monate Unterricht – das war fast das Zehnfache von seinem Jahresgehalt in Prag ; dazu zehn Konzerte mit eigenen Werken. Das Telegramm kam von Mrs. Jeanette M. Thurber, der millionenschweren Gründerin des New York National Conservatory, die es sich in den Kopf gesetzt hatte, ihr Institut mit einer europäischen Koryphäe aufzuwerten. Nach längerem Zögern unterschrieb Dvořák den Vertrag. Das Prager Konservatorium beurlaubte ihn, und Ende September 1892 traf die Familie Dvořák mit dem Dampfer in New York ein. Der Sekretär des New Yorker Konservatoriums und eine tschechische Delegation standen zum Empfang Spalier. Nicht nur deswegen gefiel es Dvořák von Anfang an in Amerika: das Großstädtische der Metropole mit der Freiheitsstatue überwältigte ihn, der demokratische Lebensstil sagte ihm zu. Dass man Konzerte, die eben erst zu horrenden Eintrittspreisen gegeben wurden, wenig später zu sehr niedrigen für die ärmere Bevölkerung wiederholte, imponierte ihm ungeheuer. Außerdem führte er ein bequemes und sorgloses Leben. Er wohnte während seines ganzen Amerikaaufenthalts in einer komfortablen Wohnung mit fünf Zimmern in der Nähe des Stuyvesant Parks.

Die reiche Mrs. Thurber indes erwartete mehr: eine Befruchtung der amerikanischen Musik. Das hieß nichts anderes, als die Schaffung einer künftigen Nationalmusik. Und hier liegt schon das Unmögliche dieses Ansinnens: Der Mann, der zusammen mit Smetana die tschechische Nationalmusik begründet hatte, sollte die „schöpferische Verwertbarkeit der Indianer- und Negermusik“ (sowas durfte man damals noch schreiben!) ausloten. Abgesehen davon, dass aus diesem Postulat geballter Rassismus spricht: welche Möglichkeiten hatte Dvořák überhaupt, sich zu inspirieren, sich Anregungen zu holen? Oder: Wozu konnte ihn Amerika anregen?

Jedenfalls zeigte sich Dvořák geneigt. In einem Interview 1893 bekannte er: Ich bin jetzt überzeugt, dass die zukünftige Musik dieses Landes auf der Grundlage der Lieder aufgebaut werden muss, die Negermelodien genannt werden. Diese müssen Grundlage einer ernsten und ursprünglichen Kompositionsschule werden, die in den USA zu begründen ist.“ – Sprach’s und machte sich ans Werk: seine Neunte entstand. Eigentlich ist es klar, dass er beim Komponieren nicht plötzlich ein paar Jahrhunderte europäischer Musiktradition einfach vergessen konnte; dass er, weder formal noch instrumentationstechnisch, „aus seiner Haut heraus“ konnte; dass er böhmisches Musikantentum, in dem er großgeworden war, nicht von heute auf morgen verleugnen konnte. Trotzdem fällt (dem Kritiker Joachim Kaiser) auf: „Viele Themen der Symphonie wirken ungewöhnlich synkopisch geprägt. Da schwingt amerikanisches Lebensgefühl mit, wie es die Jazzmusik später kultivierte. Die tieftraurige Melodie des Largos erinnert an den Geist der Spirituals. Doch wenn manche Tonfolgen oder Rhythmen noch so amerikanisch anmuten, Dvořák trägt sie in seiner unverkennbaren böhmischen Sprache vor. Der herrliche Choral des langsamen Satzes, der angeblich den Trauermarsch des indianischen Begräbnisses symbolisiert, endet mit einem typisch böhmischen Pralltriller. Es ist offenbar: im donnernden großstädtischen Furor des Finales klingt eben doch auch tschechisch Tänzerisches mit.“ Soweit Joachim Kaiser. Die Uraufführung fand am 16. Dezember 1893 durch die New Yorker Philharmoniker unter ihrem Chefdirigenten Anton Seidl in der Carnegie Hall statt und wurde zu einem überwältigenden Triumph. Stolz berichtete Dvořák an seinen Verleger Simrock: Der Erfolg der Symphonie war ein großartiger, die Zeitungen sagen, noch nie hätte ein Componist einen solchen Triumph. Ich war in der Loge, die Halle war mit dem besten Publikum von N.Y. besetzt, die Leute applaudierten so viel, dass ich aus der Loge wie ein König … mich bedanken musste.“ Und ein Premierenkritiker brachte es auf den Punkt: „Ich kann nicht sagen, ob die Symphonie amerikanisch ist oder nicht. Mich spricht nichts Amerikanisches an. Es ist Dvořák.“ Und was meinte der Komponist selbst? Er machte es kurz: „Das ist und bleibt immer tschechische Musik.“ – Bei YouTube können Sie sich selbst einen Eindruck machen. – Karten gibt’s auf der Website des Trui Teatre. Und hier können Sie meine Einführung in das erste Werk des Abends, das zweite Klavierkonzert von Chopin, noch einmal nachlesen.

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