Im zweiten Teil des Interviews sprach Matthias Kirschnereit über das Programm seines Konzerts am 14.April in der Bodega Macia Batle, über seine Beziehung zu Mallorca und über die Vereinnahmung der Klassik durch die Popmusik.
Martin H.Müller: Herr Kirschnereit, lassen Sie uns über das Programm sprechen, das Sie spielen werden. Das sind ja alles keine Stücke fürs Sonntagnachmittags-Wunschkonzert bei Klassik-Radio.
Matthias Kirschnereit: Naja, Mondschein schon, und Chopin Scherzo könnte man auch… Nein, der Hintergrund ist der, dass ich Ende des Monats einige Beethoven-Abende gebe, unter anderem im Bonner Beethovenhaus und bekannten und unbekannten Beethoven da kombiniere. Die Polonaise von Beethoven, die ich an den Anfang meines Konzerts auf Mallorca gesetzt habe, wird so gut wie nie gespielt. Und sie schlägt auch einen Bogen zu Chopin, an den man beim Stichwort Polonaise meist als ersten denkt, mir geht das jedenfalls so. Diese einzige Polonaise Beethovens ist ein unglaublich heiteres, verschmitztes, brillantes Stück voller Grazie, das ich der bekannteren Sturmsonate und der Mondscheinsonate gegenüberstellen möchte. Und wenn ich schon auf Mallorca bin, darf natürlich Chopin nicht fehlen. (Nähere Ausführungen zu Kirschnereits Beziehung zu Mallorca können Sie hier im Originalton hören, die schlechte Telefon-Qualität bitte ich zu entschuldigen.)
MHM: Eine Sache würde mich auch noch interessieren. Es gibt in Ihrem Programm ein Stück, das auf geradezu grausame Weise von der Unterhaltungs-Branche vereinnahmt wurde, der erste Satz der Mondscheinsonate. Ich denke da an James Last, Richard Clayderman hat’s auch gemacht…
MK: …ganz schrecklich, ja…
MHM: …ich denke, Sie, als ausübender Künstler, der das Original immer wieder spielt, immer wieder darum ringt, den Spannungsbogen rüberzuberingen, das Geheimnis und die Magie, die ihm innewohnt rüberzubringen, kann in weit stärkerem Maße als der durchschnittliche Hörer ermessen, was so einem Stück angetan wird, wenn sich da ein James Last drüber hermacht.
MK: Sie können sich sicher vorstellen, dass ich diese Art von „Berbeitungen“ und Trittbrettfahrerei ablehne. Und was ich auch nicht mag, ist diese sogenannte Neo-Klassik, Beethoven „recomposed", Vivaldi recomposed, wo die Stücke noch eine Spur seichter gemacht werden. Und die Musik nur noch zum Kuscheln da ist, oder um im Aufzug die Nerven zu behalten, und in keiner Weise mehr tiefere Schichten anrührt, die die Seele berühren. Musik bekommt dabei einen rein dekorativen Charakter, wo man dann ein Glas Wein dazu trinkt oder bei einem schicken Abendessen plaudert, oder die Steuererklärung nebenher macht. Da tut man wirklich den Werken unrecht. Ein Schubert ist nicht mit 31 Jahren an Syphilis verreckt, damit wir so einen banalen Mist produzieren. – Der erste Satz der Mondschein ist ja nicht zu Unrecht so populär, und wenn man es genauer betrachtet, ist er eines der einsamsten Stücke, die Beethoven überhaupt komponiert hat. Ich mag es auch nicht, wenn er so elend klebrig gespielt wird. Er ist, wie Sie richtig gesagt haben, ein ganz magischer, stimmungsvoller Satz, der, wenn man sich auf diesen Flow einlässt, fast etwas Spirituelles bekommt. Und dann der freundliche Zwischensatz und das rasende Finale, das ist Bekenntnismusik, die eine sehr einsame und dramatische Seelensituation beschreibt.
MHM: Nun begann ja dieser Vereinnahmung der Klassiker durch die Popularmusik mit Jacques Loussiers Play Bach und Eugen Cicero. So weit bewegen wir uns doch noch auf seriösem Terrain, oder nicht?
MK: Ich denke dabei an meine Kindheit zurück. Ja, ich fand das ganz toll. Nun ist Loussier ja ein Könner und ich glaube, diese Musik so zu adaptieren geht bei Bach ganz gut. Er hat ja nicht den Eingangs-Chor der Matthäuspassion verjazzt, sondern das Italienische Konzert und ein paar Präludien, die in Dur gestimmt sind, also eher motorische Stücke. Seine Bearbeitungen sind sehr respektvoll und gewinnen den Stücken neue Facetten ab.
MHM: Das meinte ich mit „seriös“.
MK: Ja, absolut! Das ist etwas Anderes, als wenn in der sogenannten Neo-Klassik die Harmonien vereinfacht werden, die Kontrapunktik vereinfacht wird und alles auf seo einem Wohlfühl-Teppich ausgerollt wird, wie man ihn von Klassik Radio kennt. Das widerstrebt mir komplett. – Ich würde jetzt aber gar nicht so sehr gegen etwas vorgehen. Lasst uns lieber aktiv für Beethoven kämpfen, wie ich ihn sehe!
MHM: Und genau das werden Sie am 14.April tun. Ich freue mich sehr auf das Konzert. Und ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch.
MK: Gerne. Wir sehen uns dann im Konzert.
Den ersten Teil des Interviews können Sie hier noch einmal lesen. Ebenso meine Einführungen in die Sturmsonate und in die Mondscheinsonate.