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Konzertkritik: Alexandra Dovgan begeisterte mit Schumann

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Vielleicht machen Kleider nicht wirklich Leute, wie Gottfried Keller im Titel seiner berühmten Novelle um den (Auf)Schneider Wenzel Strapinski kühn behauptet hat, aber sie machen das Selbstvrständnis deutlich. Es ist ein Unterschied, ob ein Künstler oder eine Künstlerin durch einen Glitzer-Fummel auf sich aufmerksam machen will – oft ist dann auch die Darbietung nur Glamour, unter dessen Oberfläche sich weder Tiefe noch Ernsthaftigkeit verbergen -, oder ob er/sie in einem schlichten, aber dennoch dekorativen hochgeschlossenen blauen Kleid, wie gestern Abend die russische Ausnahmepianistin Alexandra Dovgan, Bescheidenheit signalisiert. Und so hatte auch das Spiel der 16-Jährigen nichts Aufschneiderisches, sie blendete nicht, sie zog keine Show ab, sondern spielte einfach Klavier, das a-moll-Konzert von Robert Schumann.

Ihre Technik war schon vor zwei Jahren, als sie hier mit dem zweiten Chopin-Klavierkonzert debütierte, über jeden Zweifel erhaben. Und nun war man natürlich gespannt, ob in zwei Jahren da überhaupt noch eine Steigerung möglich ist. In ihrem jugendlichen Alter sind zwei Jahre – ich hab’s nachgerechnet – immerhin 14,29% des Lebens. Mir schien es, als habe ihr Spiel noch ein wenig an Präzision gewonnen, was vor allem in Trillerketten und Läufen hörbar wurde. Da blieb nichts im Ungefähren, alles kam gestochen klar daher, ohne dabei den Eindruck von bloßer Mechanik zu vermitteln. Aber es war auch kein Seelen-Striptease, der die lyrischen Passagen zu Schmachtfetzen hätte verkommen lassen. Man könnte es vielleicht als ein gezügeltes Schwelgen in der Schumann’schen Gefühlswelt bezeichnen, gezügelt durch Disziplin und Selbstkontrolle. Pablo Mielgo und seine Sinfoniker begleiteten das filigrane, nuancenreiche Spiel der Pianistin, das in fortissimo-Passagen auch einmal auftrumpfen konnte, mit nobler Delikatesse und ließ es nur krachen (die Pauken gegen Ende des 1.Satzes!), wenn keine Gefahr bestand, die Pianistin zu übertönen. Aber auch dann wurde der Sound nie "dick" oder plakativ. Überhaupt dirigierte Mielgo einen sehr transparenten Schumann, dem dennoch die romantische Wärme nicht abging. Für den begeisterten Applaus bedankte sich die junge Pianistin mit einer Zugabe. Und auch da stellte sie nicht marktschreierisch ihre Virtuosität zur Schau, sondern spielte einfach in beglückender Schlichtheit Klavier.

Transparenz und eine große dynamische Bandbreite kennzeichneten auch die Interpretation der Sinfonie Nr.15 von Schostakowitsch. Die breite Aufstellung des Orchesters auf der großen Bühne des Auditoriums sorgte mit ihrem Stereo-Effekt für Durchhörbarkeit, kein Detail ging unter im Klangrausch, zu dem Schostakowitsch immer wieder einlädt. Die luzide kindliche Spielzeugwelt im ersten Satz wurde genauso überzeugend dargestellt, wie der bedrohliche Trauermarsch im zweiten. Das Allegretto (3.Satz) erklang als boshaft-freches Scherzo. Und das „Metronom der Vergänglichkeit“ am Ende des Finales führte den Zuhörern eindringlich den unerbittlichen Fortgang der Zeit vor Augen bzw. Ohren.

Es war das zweitletzte Konzert der Saison, und man wäre fast geneigt gewesen, die abgedroschene Phrase, das Beste komme eben am Schluss, zu bemühen, wäre nicht die ganze Temporada 2023/24 eine einzige Aneinanderreihung von Highlights gewesen. Auf jeden Fall war es für Mielgo ein gelungener Schlusspunkt. Das letzte Konzert am 9.Mai übernimmt Joshua Weilerstein als Gastdirigent. Er wird es schwer haben, diesen Abend zu toppen. Zur Aufführung gelangen Mozarts „Linzer Sinfonie“ (KV425) und die Sinfonischen Tänze von Rachmaninoff. Karten gibt’s hier.

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