Welch ein Finale beim diesjährigen - leider kurzen – Festival de Bellver! „Klasse statt Masse« war in dieser Saison offenbar die Devise. Aber es wäre beides gegangen, in den vergangenen Jahren ging’s ja auch, da gab’s sieben oder acht Konzerte, die sich von der Qualität her keineswegs vor den vieren dieses Sommers zu verstecken brauchten. Ähnlich auf Sparflamme kocht übrigens auch die Wintersaison, die fetten Jahre mit drei Aboreihen – im Auditorium, im Trui Teatre und im Tetare Principal – sind auch hier Geschichte. Zehn Konzerte im Auditorium (letztes Jahr waren’s noch elf) in der kommenden Saison, und das war’s dann auch. Der Nimbus eines Eldorado für Klassik-Fans bröckelt, zumindest quantitativ.
Aber trotz aller Enttäuschung über den Sparkurs, der hier gefahren wird: was für ein Finale gestern Abend! Nach einem fulminanten Auftaktkonzert, einer Operngala und dem gefeierten Gastspiel des 90-jährigen Leopold Hager drehten die Sinfoniker noch einmal richtig auf, mit Preziosen von Mozart und Tschaikowsky. Bereits die zu Beginn gespielte Figaro-Ouvertüre ließ ahnen, dass es ein großer Abend werden würde: quirlig, den Geist der Komödie vorwegnehmend und zugleich den revolutionären Charakter von Mozarts unsterblicher Meisteroper transportierend (die Pauken bekamen ordentlich zu tun!) erfüllte sie das Halbrund des Schlosshofs in großem sinfonischem Format.
Ganz andere Töne schlug das Klarinettenkonzert KV622 an. Es ist Mozarts letztes Instrumentalkonzert, man darf es getrost als seinen Schwanengesang betrachten. Diese Mischung aus klassischer A-dur-Heiterkeit und sanfter Melancholie kann nur jemand an der Schwelle des Todes hervorbringen – wenn sein Name Mozart ist. Es ist ein Stück für die berühmte einsame Insel und gehört zudem in jede musikalische Hausapotheke, Abteilung Antidepressiva. Nicht umsonst erscheint der zweite Satz auf diversen Meditations-CDs. – Der Solist, der spanische Klarinettist und Dirigent Joan Enric Lluna, der auf Europas führenden Konzertbühnen, zusammen mit Dirigenten vom Rang eines Zubin Mehta oder Neville Marriner begeisterte und begeistert sowie mit mehreren CDs auf den gängigen Streaming-Portalen vertreten ist, erweckte alle Facetten des vielschichtigen Werkes tonschön zum Leben. In allen Lagen meisterte er mit atemberaubender Technik, die – das konnte man spüren – nie zu eitler Selbstdarstellung entartete, das ganze Spektrum virtuoser Beweglichkeit. (KV622 ist eben nebenbei – und nur nebenbei! – auch Virtuosenfutter.) Sein fabelhaftes Piano im Adagio vermochte das Publikum sanft-tröstlich von aller Erdenschwere zu entrücken. Das finale Rondo: „Lächeln mit einer Träne im Knopfloch«, um die vielzitierte Metapher ein weiteres Mal zu bemühen. –
Mit Tschaikowskys „Schicksalssinfonie« realisierten Pablo Mielgo und sein Orchester das Prinzip „Durch Nacht zum Licht«, nach dem schon Beethovens Fünfte funktionierte. Vom ergebenen Fatalismus des piano-Beginns im ersten Satz über den elegischen zweiten mit seiner wunderbaren Hornmelodie und die „Valse« des dritten (man wurde unwillkürlich an die großen Ballette erinnert) bis zur Wiederkehr des Hauptthemas in Dur und dem triumphalen Schluss führte uns Mielgo durch die komplexe Partitur. Das „Andante cantabile, con alcuna licenza« verkam nicht zum folkloristischen „Lied der Taiga«, als das es uns manche Konzertführer verkaufen wollen, das immer wieder hereinbrechende Schicksalsmotiv wurde zum Fanal. Und ganz am Schluss verkündete das Triolen-Ausrufezeichen – Beethovens Fünfte lässt grüßen – die affirmative Botschaft: seht her, ich habe dem Schicksal „in den Rachen gegriffen«! Eindrucksvoller kann eine Sinfonie, kann ein Festival nicht enden. – Euphorischer Applaus belohnte Diigent und Orchester für die großartige Leistung eines wirklich großen Abends.