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Schlussakt am Kap Formentor

Seit 70 Jahren ruhen zwei italienische Zerstörer bei Pollença auf dem Meeresgrund

Italienische Matrosen auf den italienischen Zerstörern "Pegaso" und "Impetuoso". Die historischen Fotos entstammen als Standbilder dem Dokumentarfilm von Rubén Casas Oché. Er präsentierte 2006 den 52-minütigen Dokumentarfilm „La última misión del Impetuoso y el Pegaso“. Infos unter www.rubencasas.com

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Attackiert von Hitlers Luftwaffe, verfolgt von den Flotten der Alliierten, abgewiesen vom neutralen Spanien - die Kapitäne der beiden italienischen Kriegsschiffe "Pegaso" und "Impetuoso" sahen keinen anderen Ausweg. Sich unehrenhaft ergeben und die Schlachtschiffe an eine fremde Macht ausliefern? Das kam für Zigalla Fulgosi und Ricardo Imperiali nicht in Frage. So beschlossen die Kommandanten am 10. September 1943 in Port de Pollença, die beiden Zerstörer eigenhändig zu versenken. Es war ihre Option, Schmach von der italienischen Marine abzuwenden, in der sie so lange gedient hatten.

In der Bucht von Pollença, zehn Seemeilen vom Port entfernt, öffneten die Bordmechaniker gegen Mitternacht die Schotten und Ventile. Bei gehisster Kriegsflagge liefen die 85 Meter langen Schwesterschiffe ohne Lärm und Aufruhr allmählich voll Wasser und versanken spurlos in der Tiefe. Es war eine Art stille Seebestattung für die beiden Schiffe, in den ersten Stunden des 11. September, bei ruhigem Meer, und auf halbem Wege zwischen den Landspitzen der Halbinseln Formentor und La Victòria im Norden Mallorcas.

Wie kam es zu diesem höchst ungewöhnlichen Schlussakt, in balearischen Gewässern, mitten im Zweiten Weltkrieg? Die Besatzungen der "Pegaso" und der "Impetuoso" hatten bewegte Tage und Wochen hinter sich. Italiens faschistischer Diktator Mussolini war am 25. Juli gestürzt worden, nachdem amerikanische und britische Truppen auf Sizilien gelandet waren. Im Auftrag des italienischen Königs wagte Marschall Badoglio ein gefahrvolles Doppelspiel, einerseits versicherte er Mussolinis Verbündetem - Hitler - die Treue und ließ seine Truppen weiter an der Seite der Wehrmacht kämpfen.

Andererseits fädelte er mit den Alliierten in Geheimverhandlungen einen Waffenstillstand ein, der am 8. September bekannt wurde, ohne dass das italienische Militär zuvor darüber instruiert worden war. Das führte über die langen Befehlswege zu einem vollkommenen Chaos in den Einheiten. Hinzu kam, dass Hitlers SS- und Kampftruppen ihrerseits in Divisionsstärken und bis dato als "Freunde" in Italien stationiert gewesen waren. Die Wehrmachtsführung, lange schon misstrauisch, nutzte den Moment und entwaffnete am 9. September das italienische Heer, besetzte am 10. September Rom. Der Waffenstillstand machte die Deutschen über Nacht zum Feind im eigenen Haus.

In dieser verworrenen Situation war die italienische Flotte in La Spezia am 9. September um drei Uhr früh in Richtung Süden ausgelaufen. Viele Matrosen dachten noch, sie sollten gegen alliierte Konvois kämpfen. Doch jetzt waren plötzlich die Deutschen die Gegner. Aus der Luft bombardierten Hitlers Kampfgeschwader den Flottenverband, der sich mit 16 Schiffen zwischen Korsika und Sardinien befand.

Es waren harte Gefechte: Neuartige ferngelenkte Bomben ("Fritz X") trafen das Flaggschiff "Roma", eine gewaltige Explosion riss es in zwei Teile und ließ es rasch versinken, 1352 Mann kamen dabei ums Leben, 622 Seeleute konnten aus dem Wasser gefischt werden.

"Das Meer wurde zu einem schwimmenden Leichenfeld", sagte Hans Dichand 1996 im MM-Interview. Der spätere österreichische Medienzar (gestorben 2010) diente damals als Waffenausbilder auf dem italienischen Zerstörer "Orsa". Nachdem die Begleitschiffe "Orsa", "Pegaso" und "Impetuoso" rund 100 "Roma"-Überlebende, viele von ihnen mit Brandverletzungen, an Bord genommen hatten, setzten sie ihre Fahrt ins Ungewisse fort. Denn vom Marinekommando in Rom waren keine Befehle zu erhalten. Und die Italiener mussten fürchten, ungeachtet des Waffenstillstands von alliierten Einheiten angegriffen und aufgebracht zu werden. Am Abend des 9. September wurde die "Orsa" erneut von deutschen Flugzeugen attackiert und schoss zwei Maschinen ab.

Die Kommandanten beschlossen, die Balearen anzusteuern. Bei knapper Munition und noch geringeren Mengen an Treibstoff schien das die beste Möglichkeit, die Verwundeten in einen sicheren Hafen zu bringen. Vier weitere Torpedoboote schafften es nach Menorca, wo die Mannschaften interniert wurden. Der "Orsa" ging auf See der Diesel aus, sie wurde von spanischen Kriegsschiffen nach Palma geschleppt und bis Kriegsende an die Kette gelegt.

"Pegaso" und "Impetuoso" schafften es bis Pollença. 24 Stunden Aufenthalt gewährte ihnen Spanien getreu den Vereinbarungen für fremde Kriegsschiffe. Den italienischen Kapitänen war bewusst: Auf hoher See wären ihre Schiffe leichte Beute für Deutsche wie Alliierte. Aus diesem Grund ließen sie die Verletzten und die eigene Besatzung an Land bringen. Mit nur jeweils 17 Mann stachen die beiden Zerstörer zu ihrer letzten Fahrt in See ...

Als die Schiffe im Dunkel der Nacht im Wasser versanken, gingen die letzten Mitglieder von Bord. Sie wurden am nächsten Morgen schwimmend im Meer entdeckt und von Fischern an Land gebracht.

Die Grabruhe von "Pegaso" und "Impetuoso" wurde in den 70 Jahren nur einmal gestört: 2005 machte sich ein mallorquinisches Taucherteam auf die Suche nach den Wracks. Schließlich wurden Maria March, Óscar Espinasa und Álvaro Villalonga fündig. Über ihre Entdeckung drehte Rubén Casas einen spannenden Dokumentarfilm. Zeitzeugen kamen darin zu Wort, Italiener, die knapp ein Jahr in Sóller, Andratx oder Alcúdia interniert gewesen waren. Im Sommer 1944 konnten sie in ihre Heimat zurückkehren. Für sie war der Krieg vorbei.

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