Vor ihm auf dem Tisch stehen zwei Kaffeebecher aus Pappe, liegt eine Schachtel Zigaretten, seine Brille und ein Tablet-PC. Zu seinen Füßen liegt Ben, ein Schäferhundmischling groß wie ein Kalb. Daneben steht ein grauer vollgepackter Rucksack mit allen Habseligkeiten, aus einer Seitentasche schaut ein Plüschtier heraus: "Der passt auf uns auf." Der Obdachlose mit dem Spitznamen Lobo ("Wolf"), der seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, beginnt seinen Tag immer in einem Schnellrestaurant auf Palmas Flaniermeile Borne. In dem Café bekommt er gratis Internetzugang, dann surft er in sozialen Netzwerken, manchmal setzt sich noch ein Bekannter dazu.
Vor einem Jahr kam Lobo von Köln aus nach Mallorca, um auf der Straße zu leben. Ohne Sprachkenntnisse, mittlerweile spricht er Mallorquinisch und Spanisch. Im Sommer schläft der Obdachlose nun im Parc de la Mar, bei schlechtem Wetter am Hafen. "Ich bin vor Hartz IV geflüchtet." Es war die Laufbahn eines Menschen, der durchs soziale Netz fällt: Unfall, der Arbeiter im Bergbau wird berufsunfähig, Sozialhilfe, ein Lehrgang nach dem anderen und doch keine neue Arbeit. "Dann erhöhte der Vermieter meine Miete um 40 Euro", erzählt der 55-Jährige, ihm wären 20 Euro monatlich zum Leben geblieben, da seine Wohnung ohnehin für Hartz IV schon zu teuer war. "Deshalb bin ich weg."
Seine Familie in Deutschland weiß nicht, wo Lobo sich aufhält, dass er in der Inselhauptstadt auf der Straße lebt. "Dann wäre ich eine Schande für die Familie - so denken die", erzählt er. Einzig von seiner jüngsten Tochter hat er ein Foto als Bildschirmhintergrund auf seinem Tablet, er hat das Mädchen seit Jahren nicht gesehen. Die Beziehung zu ihrer Mutter war schwierig: "Vielleicht versuche ich Kontakt aufzunehmen, wenn meine Tochter volljährig ist."
In die Heimat hat er die Brücken weitestgehend abgebrochen. Nur seine beste Freundin besuchte ihn im Mai. Auf Mallorca hat er schnell Anschluss gefunden - teils durch soziale Netzwerke, teils, weil "ich mich einfach gern mit Menschen unterhalte". Nun bekommt er von Bekannten Essen und Hund Ben Futter zugesteckt. Hilfe gibt es auch vom Roten Kreuz. Die Armenspeisung in der Altstadt nutzte er anfangs. 38 Kilogramm hat er auf Mallorca abgenommen.
Ansonsten geht er im Parkhaus betteln: "Eigentlich bin ich nicht der Typ dafür." Wenn er genügend Geld für den Tag zusammen hat, hört er auf. Reicht das Geld mal nicht, gibt es keine Zigaretten: "Lieber höre ich auf zu rauchen, als dass Ben hungert." Den Hund will er nicht einsetzen, um Leute anzubetteln: "Dann bekommt man zwar mal einen Schein zugesteckt, doch ich mache das nicht", lautet seine Überzeugung.
"Wenn ich meinen Bart abrasiere, denken viele gar nicht, dass ich obdachlos bin." Einmal habe ihn sogar ein Tourist angepöbelt, er würde sich seinen Urlaub auf der Insel zusammenschnorren. Lobos Hose und Strickjacke sind sauber und ohne Löcher. "Ich muss doch nicht herumlaufen wie der letzte Penner." Unter den 200 Obdachlosen Palmas gebe es viele Drogenabhängige und Alkoholiker, "von denen halte ich mich fern."
Kälte macht ihm nichts aus: "Der letzte Winter war ein Witz." Nachts liege er mit Ben zusammen, der wärme und beschütze ihn: "Eigentlich bewacht er den Rucksack, da ist nämlich sein Futter drin." Wirklich schwierig sind Regentage für das Duo, dann versuchen Lobo und Ben sich unterzustellen und den Schauer abzuwarten: "Bei Regen braucht man einen Knüppel, um die Zeit totzuschlagen." Nach Deutschland will er nicht zurück: "Der Staat hat mich im Stich gelassen, da bin ich nachtragend." Lobo sieht sein Leben auf der Straße nicht als Abstieg: "Ich bin wunschlos glücklich."
Seit Anfang November wohnt er und Hund Ben bei einer Bekannten in Manacor im Winterquartier: "Ich helfe ihr im Haushalt mit, denn aushalten lasse ich mich nicht."
(aus MM 43/2015)