Als Carlos neulich im Internet surfte, stieß er auf Medienberichte, die früheste Kindheitserinnerungen weckten. Da war wieder, der hünenhafte Mann mit der großen Narbe auf der Wange: Otto Skorzeny, SS-Obersturmbannführer und berüchtigte Legende aus den Tages des Zweiten Weltkriegs, seitdem er 1943 im Auftrag Hitlers den festgesetzten Mussolini in einer waghalsigen Aktion aus der Gefangenschaft befreite. Die Alliierten bezeichneten den Haudegen seinerzeit als "Europas gefährlichsten Mann".
Der Werdegang des unverbesserlichen Nazis, der bis zu seinem Tod 1975 an seiner politischen Einstellung festhielt, ist bekannt. Skorzeny entzog sich nach Kriegsende dem Gerichtsprozess durch Flucht nach Argentinien, wo er unter Präsident Perón als Berater der gefürchteten Staatspolizei fungierte. Skorzeny verhalf anderen ehemaligen SS-Angehörigen zur Flucht nach Lateinamerika, später soll er als Waffenhändler in Ägypten und Südafrika tätig gewesen sein. Die letzten Jahrzehnte seines Lebens verbrachte er im Schutze des Diktators Franco in Spanien.
Neu ist nach jüngsten Medienberichten, dass der "SS-Scherge" (so die "Bild"-Zeitung) auch eng mit dem israelischen Geheimdienst Mossad zusammengearbeitet haben soll, um die eigene Haut vor Verfolgung zu retten. Die Gefahr war realistisch: Im Mai 1960 hatten israelische Agenten Adolf Eichmann in Argentinien entführt. In einem Prozess wurde der Mitorganisator des Holocaust zum Tode verurteilt, das Urteil im Juni 1962 vollstreckt.
Skorzeny wiederum soll im Deal mit den Mossad-Agenten im September 1962 bei München einen ehemaligen Kriegskameraden erschossen und im Wald verbrannt haben. Wie deutsche Medien vergangenen Woche unter Berufung auf ehemalige Agenten berichteten, bestand das Ziel der Aktion darin, den deutschen Raketenbau-Experten Heinz Krug zu beseitigen. "Raketen-Krug" stand nach dem Weltkrieg im Dienste von Ägyptens Präsident Abdel Nassers, entwickelte dort ein ballistisches System. Ägypten befand sich damals im Krieg mit Israel.
Noch heute gibt es in Alcúdia viele Menschen, die sich an Otto Skorzeny erinnern. Der einstige SS-Mann lebte dort von 1965 bis 1970 als friedlicher Resident, bewohnte ein Haus im Ortsteil Es Barcarès, das in der malerischen Bucht direkt am Meer lag. Für die Anwohner war der Zugezogene ein weiterer jener deutschen und britischen Residenten im vorgezogenen Rentenalter, die sich auf der Insel niederließen. Den Allerwenigsten war bekannt, wer da wirklich unter ihnen lebte.
"Ich war ein Kind, als Skorzeny hin und wieder in das Hotel meines Vaters zum Essen kam", erzählt Carlos. Der 1,96 Meter große Gast mit ausgeprägtem Schmiss im Gesicht habe über vorbildliche Manieren verfügt, sei gebildet und höflich aufgetreten. Doch was sich dem Kind am intensivsten einprägte, war die kräftige Statur des Gastes. Sein Vater sei für einen Mallorquiner selbst ein hochgewachsener Mann gewesen, aber neben dem Deutschen wirkte er klein. Skorzeny war riesig, und breit. "Er wirkte auf mich wie ein Schrank!" Der Ausländer habe in dem Viertel ein unauffälliges Leben geführt und sei nur wenig ausgegangen.
Ein anderer, der sich an Skorzeny erinnert, ist der Betreiber des ehemaligen Restaurants "Sigfrido" an der Playa de Alcúdia. Skorzeny sei hin und wieder zum Essen gekommen - und habe sich in der Regel sehr knauserig mit Trinkgeld gezeigt.
Francisca (76), deren Familie in Alcúdia die Bar Fonda Llabrès betrieb, erinnert sich ebenfalls an Skorzeny. Er kam hin und wieder in Begleitung eines Mallorquiners, En Toni, in die Bar am Platz, um ein Bier zu trinken. Toni sei damals einer der ganz wenigen in dem Ort gewesen, der Englisch beherrschte. Mit ihm habe sich Skorzeny hin und wieder unterhalten. Worüber, das wisse sie nicht. Toni selbst ist schon vor vielen Jahren gestorben.
Skorzeny blieb bis 1970 auf Mallorca, dann zog er nach Madrid, wo er 1975 im Alter von 67 Jahren einem Krebsleiden erlag.
Er war einer jener Alt-Nazis, die auf Mallorca einen sonnigen Lebensabend verbrachten. Und von diesen soll es nicht wenige gegeben haben.
(aus MM 15/2016)