Palma de Mallorca, 1. August, 1986: Drogenbosse aus aller Welt treffen sich zum Unterweltgipfel im Stadtteil La Vileta. Mit von der Partie sind Wayne Wills alias "Mr. Ecstasy", Ronald Malconi alias "der Hase", Marcelo Odom, Phillip Sparowhawk und vor allem der Gastgeber Howard Marks, der auch nach seinem Krebstod im vergangenen April noch Kultstatus als "Kifferkönig" und Buchautor genießt und bei seinen Fans besser als "Mr. Nice" bekannt ist. Zwei Jahre nach dem ominösen Treffen sollten sich alle Teilnehmer in Florida auf der Anklagebank wiederfinden. Howard Marks wurde damals am 25. Juli auf Mallorca verhaftet, in die USA ausgeliefert und verurteilt.
Einer, der ihn gut kannte und bis heute auf seinen Spuren wandelt, ist der niederbayrische Autor Mefa Dämgen. Mit dem Mallorca Magazin teilt der 50-Jährige seine Erkenntnisse über den Lebensweg des Briten, der tonnenweise mit Marihuana handelte, sich später für die Legalisierung weicher Drogen einsetzte, 2010 im Mittelpunkt eines Hollywoodfilms stand und in einer urkomischen Biografie beschreibt, wie er die Ermittler jahrelang an der Nase herumführte.
"Howard Marks benutzte 46 Tarnnamen und hatte Dutzende von Telefonleitungen in seinem Haus", erklärt Mefa Dämgen. Im Juni hatte er Gelegenheit, das diskrete Anwesen im Carrer del Foc 3 in Palmas Stadtteil La Vileta zu besichtigen. Das Dorfhaus mit Garten und hohen Mauern steht derzeit für 635.000 Euro zum Verkauf.
Viele Spuren des Gentleman-Kriminellen mit Oxford-Abschluss, der bei seinen Taten niemals Gewalt angewendet haben soll und zu Glanzzeiten angeblich ein Vermögen von 29 Millionen Euro besaß, sind zwar nicht übrig geblieben, doch war der Besuch ein weiteres Mosaiksteinchen in den Recherchen von Mefa Dämgen, der unter anderem ein fertiges Mr.-Nice-Drehbuch in der Schublade liegen hat.
Darin geht es auch darum, das Leben von Howard Marks an dessen früheren Wirkungsstätten zu rekonstruieren, unter anderem mit einem britischen Reisepass auf den Namen Donald Nice, den Dämgen in den 90er Jahren eigenhändig in der Schweizer Enklave Campione d'Italia ausfindig gemacht hat und damit in der Cannabis-Szene für eine kleine Sensation sorgte. "Marks musste aus Campione flüchten und ließ den Pass von seinem Schwager auf einem Spielplatz vergraben", so Dämgen, der Wert darauf legt festzuhalten, dass er selbst kein Kiffer sei.
Interessant findet er vielmehr das Katz- und Maus-Spiel, das der Engländer mit den Ermittlern um DEA-Agent Craig Lovato trieb. Selbst Telefonnummern in den Ortsnetzen von Palma und London, die früher zum Schmugglernetzwerk von Mr. Nice gehörten, sind in seiner Devotionaliensammlung vorhanden. Heute laufen darüber die Gespräche von nichts ahnenden Firmen und Privatpersonen. Fast wäre Mefa Dämgen bei einer abenteuerlichen Begebenheit am Bahnhof von Zürich sogar selbst als Mitglied der nicht mehr existierenden Bande von Mr. Nice verdächtigt worden.
Immerhin brachte ihm der Fund eine Freundschaft mit Howard Marks ein, den er bei Lesereisen quer durch Bayern und Deutschland begleiten durfte. Eine solche führte den Briten übrigens im Jahr 2004 auch nach Palma, wo seine Tochter Amber bis heute ansässig ist. Von Ehefrau Judy war Howard unterdessen geschieden. Sie konnte es laut Dämgen nie verwinden, dass ihr Mann sich nicht rechtzeitig zur Ruhe gesetzt hatte. "Ihm gefiel das Spiel mit dem Verbotenen einfach zu sehr", glaubt Dämgen.
Nach einer ersten Verurteilung, die für Marks glimpflich ausgegangen war, nachdem er sich vor Gericht erfolgreich auf angebliche Aufträge des Geheimdiensts MI5 berufen konnte, habe er sich unbesiegbar gefühlt. "Statt mit drei Tonnen Hasch handelte er dann mit 30 Tonnen", so Dämgen. Wobei der Stoff unter anderem bei Musiktourneen im Lautsprecher oder auch im Diplomatengepäck von Bekannten aus der Upper-Class versteckt wurde. "Er konnte auch deswegen so weit kommen, weil die Ermittlungsmethoden noch nicht so ausgereift waren", meint Dämgen.
Warum ausgerechnet Mallorca als Standort gewählt wurde? Von Klima und Dolce Vita einmal abgesehen auch deswegen, weil Cannabis bis 1991 in Spanien legal war. Zum anderen wegen der Insellage weitab der Metropolen. Außerdem gab es lange kein Auslieferungsabkommen mit den USA. Dass sich die Situation geändert hatte, sollte Howard Marks erst begreifen, als an einem Julitag die Guardia Civil und US-Fahnder Craig Lovato vor der Tür standen und sein Häuschen in La Vileta stürmten. "Im Nachhinein gab er zu, dass er da etwas übersehen hatte", sagt Mefa Dämgen.
Ob von den Millionen noch etwas übrig geblieben ist? Dämgen ist sich nicht so sicher. Zwar hat er Hinweise auf bestimmte Konten. "Mr. Nice" sei auch kofferweise mit Geld unterwegs gewesen und habe bei seinen Reisen viele Bankverbindungen eröffnet. Allerdings liege die Schwierigkeit darin, dass alle seine Pässe auf falsche Namen lauteten. Weswegen den Erben heute die Legitimation fehlt, um eventuell vorhandene Guthaben zu beanspruchen.
Das gilt auch für das manipulierte Dokument auf den Namen eines real existierenden Walisers namens Donald Nice, das Howard Marks mit Abstand am liebsten benutzte. Der Pass befindet sich bis heute in den Händen von Mefa Dämgen, ist allerdings reichlich zerfleddert und riecht nach 19 Jahren in der Erde von Campione d'Italia auch etwas modrig.
(aus MM 31/2016)