Mit Bomben Manhattan in Schutt und Asche legen. Dieser Vision soll sich Adolf Hitler während des Zweiten Weltkrieges vor seinem inneren Auge gerne hingegeben haben. Auf diese Weise wollte er seinen militärisch stärksten Feind auf dessen eigenem Staatsgebiet wenigstens einmal bedrohen und dort Terror und Angst verbreiten. Zerstörte Wolkenkratzer und brennende Straßenschluchten rund um den Central Park. Aus den Tagebuch-Aufzeichnungen seines Leib-Architekten Albert Speer geht hervor, wie Hitler sich wie im Rausch den "Untergang New Yorks in Flammenstürmen" vorstellte.
Dass der Kampf gegen die USA, denen Hitler im Dezember 1941 den Krieg erklärt hatte, nicht nur in seiner Fantasie stattfand, sondern auch in diversen Planspielen erwogen wurde, ist bekannt. So setzten deutsche U-Boote am Strand von Long Island sowie vor Florida jeweils vier Agenten ab, die dort mit Bomben und Handgranaten Terroranschläge verüben sollten. Allerdings wurden die acht Eingeschleusten der "Operation Pastorius" rasch entdeckt und verhaftet. Sechs von ihnen starben 1942 auf dem elektrischen Stuhl, zwei erhielten langjährige Haftstrafen.
In der NS-Versuchsanstalt in Peenemünde wiederum wurde Raketen getestet, die, so die Reißbrettstrategie, den amerikanischen Kontinent erreichen sollten. Das Vorhaben scheiterte in Ermangelung ausreichender Triebkraft und Steuerbarkeit der Flugkörper.
Überlegungen, den Atlantik mit Flugzeugen zu überwinden, wurden von den NS-Technikern und Ingenieuren ebenfalls angestellt. Hitler soll von dem Gedanken eines "Amerika-Bombers" begeistert gewesen sein. Doch das Unterfangen stellte sich als schwierig dar. Schließlich waren für solch einen Angriff mindestens 12.000 Kilometer für den Hin- und Rückflug einzukalkulieren. Ohne Aufzutanken war ein solches Vorhaben unter den damaligen technischen Gegebenheiten nicht machbar.
Dennoch waren die Planer durchaus aktiv, um die Hürden zu überwinden. Wie sich jetzt herausstellte, existierte ein Geheimprojekt, einen Langstreckenbomber auf den Weg zu schicken. Für dieses Himmelfahrtskommando wurden zehn handverlesene Piloten ausgewählt und im besetzten Polen speziell trainiert. Einer dieser Männer war der damals 19 Jahre alte Peter Brill. In Spanien sind jüngst seine aufgezeichneten Lebenserinnerungen als Buch erschienen. Das Besondere: Das Werk entstand auf Mallorca, wo der ehemalige Luftwaffenpilot bis zu seinem Tod 2013 als gebrechlicher Rentner seine letzten fünf Lebensjahre verbracht hatte. Die letzte Ruhestätte Brills befindet sich auf dem Friedhof von Llucmajor. Der passionierte Flieger ließ an seinen Grabstein neben seinem Namen ein stilisiertes Kampfflugzeug, eine Messerschmitt 109, anbringen.
Doch zurück ins Jahr 1943. Peter Brill befindet sich im Herbst in Thorn, auf halbem Weg zwischen Posen und Danzig. Dort werden er und fünf weitere Kameraden in Lehrgängen geschult, um eine Maschine vom Typ Heinkel He 177 zu fliegen. Das auch "Greif" genannte Modell war ein viermotoriger schwerer Bomber. Mit einer Reichweite von 6500 Kilometern war die Maschine aus NS-Produktion das, was einem Langstreckenbomber am nächsten kam.
Brill und die anderen Männer wussten nicht, zu welchem Zweck sie an der Maschine eingelernt werden sollten. Auf dem Lehrplan stand vor allem das Navigieren nach dem Stand der Sonne oder der Sterne. Hinzu kam das Fliegen in ungewöhnlich großen Höhen. Der "Greif" erwies sich indes als extrem anfällig. Seine vier gekoppelten Motoren sollten zwei Luftschrauben antreiben, so dass das wuchtige Flugzeug, 30 Meter lang samt einer Flügelspannweite von 20 Metern, aus der Ferne einer zweimotorigen Maschine glich. Die Abstimmung der Doppelmotoren war offenbar problematisch, so dass einer der vier noch am Boden heiß lief und Feuer fing. Letztlich trainierten die Piloten ersatzweise auf kleineren Heinkel-He-111-Maschinen. "Aber wir kamen kein einziges Mal dazu, die He 177 zu fliegen."
Erst als das Unternehmen Ende 1943 aufgegeben wurde, erfuhren die Männer, dass ihr Einsatzziel New York hätte sein sollen. Die Strategen hatten sich unter anderem ausgedacht, die Bombenlast im "Greif" bis zum Big Apple zu fliegen und dort abzuwerfen. Anschließend sollte das Flugzeug über dem Meer aufgegeben und die Besatzung an Bord eines bereitliegenden U-Bootes aufgenommen werden.
Andere Überlegungen, die angeblich italienische Strategen ausgebrütet hatten, sahen vor, den "Greif" nach dem Angriff auf New York mit dem restlichen Flugbenzin in Richtung Süden fliegen und wo auch immer landen zu lassen. Anschließend sollten sich die Piloten auf Fahrrädern bis nach Mexiko durchschlagen und von dort nach Europa zurückkehren.
Peter Brill war offensichtlich froh, dass aus all diesen militärischen Luftschlössern nichts wurde. Ein Angriff auf New York? "Jochen, das wäre der pure Wahnsinn gewesen", soll der ehemalige Wehrmachtspilot später im Alter von über 80 Jahren seinem Sohn gesagt haben.
Schwiegertochter Rosa Grijalba riet dem Senior: "Schreib doch deine Erlebnisse auf!" Am Ende war sie es, die dem Betagten half: Er erzählte ihr sein Leben und sie tippte den Stoff in die Schreibmaschine. Später veröffentlichten zwei spanische Journalisten, die Brill noch auf dem Festland interviewen konnten, auf Spanisch das Buch "El diario de Peter Brill".
"Die ganze Story war neu für uns", räumt Jochen Brill an. Sei Vater hatte jahrzehntelang nicht über seine Vergangenheit gesprochen. Erst gegen Ende seines Lebens öffneten sich die Schleusen der Erinnerung.
Brill, Jahrgang 1924, stammte aus Offenbach. Der junge Hesse wollte von Anfang an nur eines: Fliegen. Neben der Hitlerjugend, in die er wie alle seines Jahrgangs eintreten musste, war er in seiner Freizeit vor allem in Segelfliegerklubs aktiv. Danach wurde er zur Wehrmacht eingezogen und zum Piloten ausgebildet. Mit 19 steuerte der junge Mann bereits verschiedene Kampfflugzeuge.
Nach dem Abbruch des Manhattan-Projekts wurde Peter an der Ostfront eingesetzt. Zum Kriegsende geriet er in russische Kriegsgefangenschaft, bis er 1948 aus einem Lager in der Ukraine schwerkrank entlassen wurde. In Deutschland erhielt Brill eine technische Ausbildung in einem Gerbereibetrieb, wie es damals viele davon rund um Offenbach gab. Zwei Jahre später dann die Chance, nach Spanien zu gehen, wo eine Lederwarenfabrik einen deutschen Direktor suchte.
Brill lebte fortan mit seiner deutschen Frau im Raum Valencia, später in Barcelona. An der Ostküste erblickten auch seine beiden Söhne das Licht der Welt. Beide leben und arbeiten seit Langem auf Mallorca. Im Jahre 2007 holte Jochen Brill seine Eltern auf die Insel nach.
"Mein Vater war abenteuerlustig. Er ging in den Krieg, um fliegen zu können. Die Nazis waren jedoch nicht seine Welt", sagt Jochen Brill.
Fliegen, das tat Peter Brill sein Leben lang. In den Fliegerklubs in Valencia und Barcelona war er, bis er 80 wurde, aktiv, später auf Mallorca ließ er sich von seinem Sohn in einem gemieteten Kleinflugzeug durch das Blau befördern. "Bei diesem Vater hatte ich keine Wahl, ich musste den Pilotenschein machen", schmunzelt Jochen Brill.
(Das Buch ist es in der Buchhandlung Savoy in Palma, Carrer Joan de Cremona 3, zu haben. Preis: 23 Euro.)
(aus MM 5/2017)